INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 3 und 4 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 03:00 UHR

[Lukas wird recht zügig abgefertigt, Wannabe hat letztendlich freie Bahn]

Ein zartes Pochen durchdrang die Bürotür, und nur einen Herzschlag später ein nicht minder zartes Stimmchen: "Jetzt kommt die Süße, Dein kleines Engelein. Die steht hier draußen und tritt jetzt ein". Die Tür sprang auf, und in ihrem viereckigen Rahmen erschien ein Bild von einer Frau. Sie war jung und wunderschön und trug über ihren glitzerroten Pumps mit den hohen Absätzen eine schwarze Nylonstrupfhose, die jene langen, schlanken Beine umhüllte, welche irgendwo weiter oben in einem schwarzledernen Minirock endeten. Oberhalb des Rockes, der in Lukas' Augen eher als extrabreiter Gürtel zu bezeichnen gewesen wäre, schloß sich - unter einer offengelassenen roten Lederjacke - ein sonnengelber Strickpulli an, unter dessen weiten Maschen sich in Brusthöhe ein weißer Spitzen-BH erahnen ließ, wenn man genauer hinsah. Und die drei anwesenden Herren sahen genauer hin, wie die offenstehenden Münder der plötzlich erstarrten versammelten Männerriege unschwer erkennen ließen. Das blondhaarige, sommersproßige Lockenköpfchen, welches jene bestaunenswerte, wohlgeformte weibliche Gestalt nach oben hin abrundete, klimperte ein wenig verlegen mit den langen Wimpern. Dabei hielt ein süßes Lächeln zwischen den rotgeschminkten Lippen Einzug, während ihre erotisierende Stimme hauchte: "Oh, Charles ... äh Mister Wannabe, Sir, ich wußte ja nicht, daß Du ... daß Sie nicht allein im Büro sind". Zaghaft schaute sie dabei zu Svensson herüber und ergänzte verlegen: "Guten Morgen, Mister Svensson, Sir! Freut mich, Sie hier einmal unter anderen Umständen wiederzusehen! Also, ich meine die Umstände, daß wir uns hier nun in anderen Räumlichkeiten befinden als früher im Yard. Und nicht etwa, daß ich in anderen Umständen ... Von wem denn auch, und außerdem nehm ich ja meine Pille in der Regel regelmäßig ... Also jetzt nicht nur in der Regel, sondern vor allem außerhalb von ihr ... Ach, was sag ich denn da, ich red ja schon wieder viel zu viel!". Damit steckte sie ihren feuchten Regenschirm in Ermangelung eines Ständers kurzerhand in den Papierkorb neben der Tür und trat dann mit einem leichten Wippen ihrer lederumhüllten Poebene auf den Ex-Inspektor zu. Sie streckte ihm das schmale Händchen mit den rotlakierten Nägeln entgegen. Svensson aber ergriff die Gelegenheit und die Hand. Und nachdem er letztere schließlich lange genug sichtlich gerührt geschüttelt hatte, langte er neben sich in die Kommode und reichte Claudia ein weitere Sektglas, in das er daraufhin aus der - vom Korken befreiten - Glasflasche einen gehörigen Schuß Glühwein einfließen ließ. Claudia nippte vorsichtig daran und lallte: "Aber nur einen winzigen Schluck, Sir Lukas, sonst steigt er mir nämlich in den Kopf. Und wenn ich erstmal einen Schwips habe, dann wird mir innerlich immer so schrecklich heiß, daß ich gleich alle Hemmungen und Hüllen fallen lasse. Sie können sich ja gar nicht vorstellen, wie das ist!". Svensson schüttelte eifrig den Kopf. Sich das vorstellen können hätte er freilich schon vermocht, nur dürfen wollte er es als glücklich verheirateter Mann eben nicht. Timmy, der - aufgrund ihrer momentanen Stellung - die Brustpartie der Blondine quasi die ganze Zeit über direkt und unausweichlich im Blick hatte, ließ hingegen scheinbar all seinen diesbezüglichen Vorstellungskräften freien Lauf und versuchte, sich nun seinerseits dem imposanten Geschöpf bemerkbar zu machen. Dazu stammelte er ein wenig heiser: "Halli, Hallo ... Ich bin ... also ich bin der Hacker ... man, ne ... der Hacki Timmerman ... Blödsinn, Tim Hackerman, mein ich. Daß ich hier ... im Sitzstuhl rolle ...äh, Rollstuhl sitze, das kam durch ... einen Fall ... äh, ne, Unfall. Und ich muß jetzt mal ... also mal sagen, daß Sie ... also Sie haben da zwei ... äh ganz beeindruckend schöne ... äh, ja, Augen". Sichtlich geschmeichelt reichte die blonde Schönheit nun auch dem Svenssonschützling ihr Händchen und säuselte: "Angenehm, Mister Hackerman. Wenn mich nicht alles täuscht, dann sind wir uns schonmal früher beim Yard über den Weg gelaufen ... äh ja, damals konnten Sie ja noch ... also laufen ... Ok, wie dem auch sei, mein Name ist jedenfalls Claudia, Claudia Palmer. Dankeschön für das zauberhafte Kompliment, was meine Augen angeht! Sowas Nettes hat mir noch keiner gesagt! Wissen Sie, Sir Tim, die meisten Männer glotzen mir ja immer nur auf die Oberweite. Dabei bildet doch die nur einen kleinen Ausschnitt dessen, was meine gesamte Persönlichkeit ausmacht". Sie strahlte dabei übers ganze Gesicht. Timmy aber, der sichtlich errötend rasch seinen Blick von Ihrem Busen löste, verlautbarte stotternd: "Ja, also ich ... äh die meisten ... Männer sind Schweine ... Aber es ... es gibt immer Ausnahmen ... irgendwo ... Man ... also eigentlich nicht Mann, sondern Frau ... muß sie nur ... naja, suchen ... Was ich damit sagen wollte ... ja, was wollt ich eigentlich nochmal sagen ... ach ja, ich bin da halt anders ... also, jetzt nicht anders wie andersrum oder so ... ich steh schon auf Frauen ... nur eben mehr auf die verborgenen Dinger ... äh, Dinge ... innere Werte sozusagen ...".

Svensson und Wannabe hatten sich während Timmys etwas ungeschicktem Erklärungsversuch köstlich amüsiert. Jetzt aber erlöste Charles Wannabe den schon schweißgebadeten Hackerman aus dessen spürbarer Misere mit einem seiner gewohnt uncharmanten Einwürfe: "Was unser noch pubertierender Cityroller damit eigentlich sagen wollte, ist, daß ihn bei einer Dame vor allem das interessiert, was sich unter der kleiderbedeckten Oberfläche verbirgt. Wenn ich Sie also bitten dürfte, abzulegen, mein teuerstes Fräulein Claudia. Ich denke mal, fürs erste dürfte das feuchte Jäckchen genügen". Die ehemalige Sekretärin des ermordeten Yardchefs Freakadelly ließ sich von Wannabes recht geschickten Fingern aus der - im strömenden Regen etwas klammgewordenen - Jacke helfen und bedankte sich dafür brav und tugendhaft bei ihm mit einem fast höfischen Knicks und einem vielsagenden Zwinkern in seine Richtung. Dann strich sie sich noch rasch den Minirock glatt und zupfte hier und da noch ein wenig an ihrem Pulli, während sie - erneut dezent mit ihrem Gesäß kreisend - hinter den Schreibtisch tippelte und sich dort ohne Umschweife auf dem mittleren Stuhl niederließ. Charles Wannabe ging ihr nach. Und während er sich auf dem Stuhl zu ihrer Linken plazierte, konnte Lukas nicht umhin, sich seinen Partner als ein wild schwanzwedelndes Hündchen vorzustellen, daß seinem Frauchen mit heraushängender Sabberzunge folgte. Wannabe selbst hatte sich inzwischen auffällig unauffällig zu Claudia hinübergebeugt, und obwohl er ja keinen Schimmer von dem neuaufgespielten Betriebssystem des vor ihnen stehenden Laptops hatte, gab er sich sofort gespielt fachmännisch. So deutete er gezielt auf ein bestimmtes Bildschirmsymbol und sprach dazu: "Das, also das da, was so aussieht wie der kleine Bruder von dem angestaubten Aktenschrank hinter uns, das ist ...". Charles geriet ins Grübeln. Claudia hingegen, die derweil im Ausschnitt ihres Pullis geangelt und dabei eine - am Ende ihres Halskettchens angebrachte - schmale Brille hervorgeholt und auf ihr Stubsnäschen gesetzt hatte, warf einen kurzen Blick auf den Monitor und das mysteriöse Symbol, wonach sie begeistert ausrief: "Meine Güte, das ist das intelligente Datenverwaltungssystem X-FILE S aus der amerikanischen Softwareschmiede DANA & FOX. Extraterrestrisch gut und speziell entwickelt für das geniale Macrosoft-Betriebssystem DOORS 007". Charles Wannabe war sichtlich überrascht: "Sie kennen dieses System, Fräulein Palmer?". Die Angesprochene rückte ihre Brille auf der Nase ein wenig nach unten, und erklärte dann - aufreizend über deren Gläser hinweglinsend: "Tja, vor meiner Anstellung im Yard hab ich mich ein paar Jahre in der walisischen Hackerszene herumgetrieben, die maßgeblich am Austesten der verschiedenen Komponenten und am konsequenten Fixen anfänglich aufgetretener Bugs beteiligt war". Erneut standen die Münder der anwesenden Herren weit offen. Tim Hackerman aber stupste seinem Nebenmann Lukas leicht in die Seite und flüsterte anerkennend: "Wow! Eine Klassefrau! Hart, aber herzlich - diese Claudia. Gegen die sieht selbst Crofts Lara blaß aus!". Wannabe ließ sich derweil nicht anmerken, daß ihm durch Claudias ungeahntes Insiderwissen, was seinen Versuch anging, ihr über die Benutzeroberfläche seines Laptops nebenbei auch seine eigenen männlichen Vorzüge noch eingehend näherzubringen, die Felle langsam wegzuschwammen. Stattdessen bemühte er sich deutlich um Schadensbegrenzung und ging gleichzeitig weiter auf Tuchfühlung mit der schönen Blonden, indem er sich von ihr in einem mehr als halbstündigen Exkurs die gesamte mitinstallierte Software eingehend erläutern ließ. Immer wieder griff er dabei zeitgleich mit Claudia nach ihrer Maus, wobei seine kräftige Hand die ihre jedesmal wie zufällig streifte. Und stets raunte er dann ein wohl kaum ernstzunehmendes: "Verzeihung! War keine Absicht!". Am Ende von Claudia Palmers Ausführungen bemerkte er schließlich, äußerlich völlig unbeeindruckt erscheinend: "Ok, ich seh schon, man kann Sie mit unserem Rechner durchaus allein lassen. Das beruhigt mich sehr, da ich ja schon bald zu einem bedeutenden Außeneinsatz muß. Der langsam ergrauende Exkriminalist an meiner Seite hat ja - im Gegensatz zu uns beiden Hübschen - keine Ahnung, was moderne Technik angeht. Der kann nämlich nur mit dem Rechenschieber umgehen und verwechselt ohne fremde Hilfe sogar einen Taschenrechner mit einer TV-Fernbedienung". Drohend erhob Lukas Svensson die zur Faust geballte Rechte in Richtung Wannabes: "Passen Sie bloß auf, mein Freund, daß ich Ihren Angeberschädel in einem plötzlichen Anflug seniler Wahnvorstellungen am Ende nicht noch mit einem Sandsack verwechsele". Von diesem Zwischenruf seines Partners ließ sich Wannabe keineswegs aus seinem Konzept bringen. Ganz im Gegenteil, er konterte sofort mit einem müden: "Na dann mal Ring frei, Rocky Senior!". Und dann ergänzte er seine Ausführungen an Claudias Adresse durch: "Ach ja, und was unseren Milchreisbubi Timmy in seinem Fernsteuer-Buggy betrifft - der ist doch schon längst überfällig, was das altersentsprechende Ins-Bettchen-Gehen angeht. Nicht, daß wir noch Ärger mit der Jugendbehörde bekommen, wegen nächtlicher Beschäftigung eines Minderjährigen". Claudia blinzelte verschmitzt zu Tim Hackerman herüber, wozu sie vielverheißend raunte: "Ach, der junge Mann sieht aber noch ganz munter und ausgesprochen fit aus. Was allerdings das Zu-Bett-Bringen angeht, da wär ich ihm als ehemaliges Au-Pair-Mädchen gern behilflich. Ich hätte übrigens schlafvorbereitend auch noch ein paar Ideen für äußerst unterhaltsame Bett-Geschichten". Timmys Augen strahlten, und seine Lippen formten ein lautloses "Au fein!". Lukas Svensson hingegen mußte bei der Erwähnung des Wortes Bett unweigerlich an sein weiches, kuschligwarmes Federbett denken und an seine nicht minder weiche, kuschligwarme Frau und begann zu gähnen. Charles Wannabe aber knurrte zähneknirschend: "Ich glaub ja ehrlichgesagt nicht, daß es nötig ist, Herrn Hackerman gleich ins Bett zu begleiten. So jung und unbeholfen scheint mir der Knabe dann doch wieder nicht. Der findet den Weg in die Heier schon allein. Ebenso wie sein älterer Mentor, für den es - glaub ich - auch langsam Zeit wird, schlafenzugehen. Wir hingegen werden hier noch dringend gebraucht, Misses Palmer!".

Lukas Svensson, der sein ausgedehntes Gähnen aufgrund der Bemerkung Wannabes schlagartig beendete, dachte einen Moment nach. Er mußte schon zugeben, der Vorschlag seines Geschäftspartners hatte durchaus seinen Reiz, auch wenn er wohl ausschließlich auf sehr eigennützigen Beweggründen beruhen mochte. Svensson nickte, und meinte - ein weiteres aufkommendes Gähnen unterdrückend: "Wissen Sie was, ich sags ja wirklich nicht oft und schon gar nicht gern, Charles! Aber ich glaube, in dem Fall Sie haben recht! Eine Mütze Schlaf täte mir sicher gut. Daß sich unsere kurze Besichtigung des neuen Büros derart in die Länge zieht, war ja schließlich auch gar nicht geplant. Also, wenn Ihr Angebot ernstgemeint war, dann würde ich gern für ein paar Stündchen verabschieden. Ich darf Sie also hier vorerst mit den Ermittlungen und mit Fräulein Palmer allein lassen?". Charles Wannabes Augen entwickelten ein nie zuvor gesehenes Leuchten. Er räusperte sich kurz, dann erwiderte er gönnerhaft: "Ja, Sie dürfen! Ich denke, ich komme hier auch eine Weile ganz gut ohne Sie aus. Und da ja unser Rechner mit dem neuen System wieder läuft und in unserem erstklassigen Fräulein Palmer scheinbar seine Meisterin gefunden hat, können Sie Ihren kleinen Freak auch gleich mitnehmen. Als Computerexperte dürfte es Tiny Tim ja nicht allzu schwer fallen, sich rasch abzumelden und anschließend einfach herunterzufahren, oder?!". Tim Hackermans Finger krallten sich sichtlich erzürnt um den Joystick seines Elektrorollstuhls, während er losfauchte: "Alles klar, der Krüppel hat seine Schuldigkeit getan, der Krüppel kann fahren! Dann woll'n wir doch mal schauen, was Tiny Tim und sein fahrbarer Untersatz noch so alles können ...". Sein hochrotes Haupt senkte sich dabei bereits angriffslustig dem Ex-Yard-Chef zu, als ihn Svensson im letzten Moment zurückhielt: "Ich glaube, Timmy, was mein neuer Partner mit der Neigung zur unglücklichen Wortwahl eigentlich sagen wollte, ist, daß er Dir unheimlich dankbar ist für Deine spontane nächtliche Einsatzbereitschaft und Deine Hilfe, auch was unsere prompte Versorgung mit Essen und Getränken angeht. In seiner einfühlsamen Art aber gipfelt diese Dankbarkeit nun eben auch gleichzeitig in der tiefen Sorge um Deine und meine Gesundheit. Nicht wahr Charles, so ist es doch, oder?!". Wannabe überlegte einen Moment lang, dann sprach er einlenkend: "Äh ja, genau wie Sie es sagen, Lukas. Und nun wünsche ich Ihnen Beiden noch eine recht gute Nacht!". Mit diesen Worten erhob er sich und begab sich zu den beiden Männern herüber. Er angelte Claudias Regenschirm aus dem Papierkorb neben der Bürotür und drückte ihn Tim Hackerman in die Hand: "Hier, junger Freund, damit sie nicht allzu naß werden bei dem Hundewetter da draußen. Fräulein Palmer bleibt ja hier bei mir und benötigt ihn daher momentan erstmal nicht. Sie hingegen haben ihn meines Erachtens nach bitter nötig. Jetzt noch eine entzündete Lunge wäre ja wohl ein wenig zuviel des Guten. Man möcht ja in ihrem zarten Alter doch noch möglichst recht lang mit beiden Beinen im Leben stehen ... Also jetzt mehr symbolisch gesprochen, versteht sich! ... Nun ja, wir rufen Sie jedenfalls an, wenn Ihre Dienste nochmal benötigt werden!". Und an Lukas gewandt, ergänzte er schulterzuckend: "Tja, mein Lieber, wir haben leider nur den einen Schirm. Aber es ist wohl eh mal wieder an der Zeit, daß Sie ihren Trenchcoat nicht nur als liebgewordene Requisite mit sich rumschleppen. Und vielleicht tun ihrem greisen Haupt ein paar Tröpfchen Nasses auch ganz gut. Möglich, daß dadurch noch ein paar frische Härchen auf dem Kahlschlag Ihrer hochgezogenen Denkerstirn sprießen, nicht wahr?! Wie sie schon so treffend bemerkten, ich sorge mich eben nur um ihr Wohlergehen!". Und damit öffnete er auch schon die Bürotür und komplementierte beide Männer nebst Regenschirm und Rollstuhl in den halbdunklen Flur. Die Tür aber fiel hinter ihnen sofort wieder krachend ins Schloß.

Lukas Svensson und sein Schützling waren sichtlich perplex über jene rasante Form der Abschiebung bei Nacht und Nebel, wie man sie sonst in jener rauhen Herzlichkeit nur von behördlicher Seite gegenüber illegalen Einwanderern kannte. Geräuschvoll entließ Tim Hackerman Luft durch die leichtgeöffneten Lippen und flüsterte: "Ebenso charmant wie Dein letzter Kumpan Crawler. Kein Wunder, die Zwei sind ja auch aus demselben Holz geschnitzt, wenngleich auch mit gänzlich verschiedenen Wurzeln. Mensch, Lukas, was findest Du nur immer wieder an solchen Lackaffen?! Hast Du keine Angst, daß Du mit Deiner Gutmütigkeit bei diesem arroganten Knilch am Ende genauso Schiffbruch erleidest wie bei seinem - letztlich von eigener Hand in die Luft gesprengten - terroristischen Wurmfortsatz Derrik". Lukas holte einmal tief Luft: "So genau weiß man das nie, Timmy! Aber ich werde wegen einem einzigen, wenn auch schweren Rückschlag doch nicht aufhören, jedem Menschen immer wieder eine Chance zu geben, sich zum Positiven hin zu verändern. Gott gibt mir und Dir diese Chance schließlich auch jeden Tag aufs Neue. Und auch wir bekleckern uns ja nicht gerade immer mit Ruhm. Aber er bleibt dennoch geduldig mit uns, wie ein Vater mit seinem Kind eben. Er versucht unentwegt, uns von unseren Irrpfaden abzubringen und uns auf den rechten Weg zurückzuholen. Und daran nehme ich mir halt ein Beispiel, wenn es um meinen Umgang mit meinen Mitmenschen geht". Nachdenklich gestimmt preßte Tim seinen rechten Zeigefinger auf den roten Knopf neben der Lifttür und sprach dabei: "Irgendwo ganz schön naiv und dennoch bewundernswert - gerade in einer Welt, wo einer den anderen oftmals schon dem ersten Eindruck nach abstempelt. Es stimmt einen immer wieder echt nachdenklich, wenn man sich mit Dir über solche Dinge unterhält. Da spricht eine Menge Weisheit und Erfahrung aus Dir, wie ich sie in meinen jungen Jahren noch gar nicht sammeln konnte". Ein leichtes Schmunzeln trat bei diesen Worten in Lukas Svenssons Gesicht, und er bemerkte augenzwinkernd: "Jetzt fängst Du also auch noch an, auf meinem Alter rumzureiten! Aber mal im Ernst: Du hast schon recht. Das Erdendasein dient einem nunmal zeitlebens mit all seinen Höhen und Tiefen, um daraus zu lernen und das gesammelte Wissen schließlich so gut wie möglich an die kommende Generation weiterzuvererben. Die Jugend muß allerdings auch bereit sein, dieses wertvolle Erbe anzutreten, bevor es unwiderbringlich verlorengeht". Während Tim und Lukas noch immer auf den Lift warteten, vernahmen sie aus dem Inneren der Detektei leise Musik und Flüstern. Neugierig geworden wendete Tim daraufhin in großem Bogen seinen Elektrostuhl und fuhr noch einmal ganz dicht an die Bürotür heran. Dort legte er sein Ohr vorsichtig ans gebeizte Türholz. Lukas war vom plötzlichen großen Lauschangriff seines Schützlings sichtlich überrascht und zischte: "Psst, also Timmy! So war das mit dem Wissensammeln aber nicht gemeint! Aber tu ruhig, was Du nicht lassen kannst! Für mich ist das jedenfalls nichts. Zu oft hab ich schon erfahren müssen, wieviel Wahrheit in dem alten deutschen Sprichwort 'Der Lauscher an der Wand hört seine eigne Schand' liegt. Ich warte dann doch lieber unten im Erdgeschoß vor dem Aufzug auf Dich". Timmy schaute nur flüchtig zu ihm herauf, nickte kurz und hielt sich dabei den Zeigefinger der rechten Hand vor die zusammengepreßten Lippen. Lukas machte daraufhin auf dem Hacken kehrt. Und obwohl sich im selben Moment vor ihm die Fahrstuhltür öffnete, hatte er für sich allein nun kaum noch Ambitionen, sich liften zu lassen. Er nahm lieber die Treppe.

Tim Hackerman hingegen blieb einsam im Schummerlicht des Obergeschoßes zurück und spitzte die Ohren. Offensichtlich hatte eine der beiden im Büro verbliebenen Personen das Radio eingeschaltet, denn man hörte recht deutlich die Melodie von Tiffanys "Think We're Alone Now", während gleichzeitig das zarte Stimmchen Claudia Palmers zu vernehmen war, welches ein wenig besorgt fragte: "Und Du hast Mister Svensson wirklich nichts davon erzählt, wie und wo mein Vorstellungsgespräch bei Dir neulich wirklich endete?!". Charles Wannabes tiefe Stimme raunte: "Ach, wo werd ich denn! Alles muß der Herr Seniorpartner ja nun auch nicht wissen. Und mal ehrlich: Ich hätte doch selbst nicht geglaubt, daß Du mich schon beim ersten Mal gleich draufläßt. Und daß ich dabei sogar die Schuhe anbehalten durfte, also das hatte ich wirklich noch nie". Claudias Stimmchen säuselte: "Und, hat es Dir denn gefallen?". Charles mußte nicht lange überlegen und antwortete geradezu euphorisch: "Ja, und wie! Bei Dir innen drin war alles natürlich deutlich enger, als ich es gewohnt war, aber gerade das hatte ja irgendwie seinen besonderen Reiz. Und außerdem saß ich ja, seit meine alte diesem schrecklichen Anschlag zum Opfer gefallen ist, was diese Art von Vergnügen angeht, quasi völlig auf dem Trocknen". Claudias Erwiderung klang ein wenig verlegen: "Ach Charles! Für mich war es ja auch das erste Mal seit langem, daß ich so etwas mal wieder zu zweit genießen konnte. Normalerweise muß ich da nämlich aus Ermangelung eines versierten Partners komplett selbst Hand anlegen. Und wenn ich doch mal einen netten Herren zu mir mitnahm, dann wollte der halt meist einfach nur dasitzen, mir dabei zuschaun und mit verklärtem Blick die herrliche Aussicht genießen". Tim Hackerman erstarrte und errötete bei dem, was er da hörte. Wie in Trance wendete er seinen Rollstuhl und lenkte ihn zurück zum immer noch weit offenstehenden Lift, von dem er sich wenige Sekunden später - völlig in Gedanken versunken - ins Erdgeschoß befördern ließ ...

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