INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 17 und 18 Uhr am Vortag zum Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in Koordinierter Weltzeit UTC.

23.12.2009 - 17:00 UHR

[Lukas' Ermittlungen kommen langsam ins Rollen, Wannabe packt der Abschiedsblues]

Auf dem schneebedeckten Weg am Eingang des Hydeparks - vor Kälte und Angst gleichermaßen zitternd - wartete Henry Fist auf die Ankunft jener schwarzen Limosine, die schon wenige Sekunden später direkt neben ihm am Straßenrand hielt. Auf der Beifahrerseite wurde unter lautem Quietschen von Hand die Scheibe heruntergekurbelt, worauf Lou Cypher sogleich seine grinsende Fratze herussteckte und dazu leise zischte: "Na kommen Sie schon näher, Henry, mein Freund! Sagen Sie mir nur rasch ins Ohr, wie Sie sich entschieden haben!". Zögernd trat Henry Fist dichter an das Auto heran, das in seinen furchterfüllten Augen dieses Mal nur noch mehr wie ein Leichenwagen auszusehen schien. Dann beugte er sich langsam zum Ohr Cyphers herunter und raunte nervös: "Meine Antwort lautet: Ja! Ja, ich tu's! Mister Cypher, ich bin Ihr Mann!". Cypher nickte zufrieden: "Wußt ich es doch! So ein großartiges Angebot wie das meine kann man einfach nicht abschlagen. Das Paket, das ich Ihnen da anbiete, beinhaltet schließlich ja auch gleich drei Dinge auf einmal: Geld, Macht und vor allem Rache. Süße, gnadenlos grausame Rache an der gesamten widerlichen Menschensippschaft! Mit einem Schlag Millionen Leben einfach per Knopfdruck auslöschen - effektiv und sauber zugleich - das ist doch eine wahrhaft unwiderstehliche Versuchung. Wer kann dazu schon nein sagen?!". Der Blick Lou Cyphers verklärte sich bei diesen Worten, um am Ende schoß seine lange, klebrige Zunge pfeilschnell aus seinem Mund hervor und bohrte tief mit ihrer mittig gespaltenen Spitze sichtlich erregt tief in Fists ihm in diesem Augenblick zugewandtes Ohr hinein - geradezu so tief, als wolle sie über diesen Zugang direkt bis in sein Hirn vorstoßen. Entsetzt und angewidert entzog Henry Fist sein Ohr und seinen ganzen Kopf schlagartig diesem unerwarteten Übergriff und bemerkte dabei das grünliche Funkeln in den kühl ins Leere starrenden Augen seines züngelnden Angreifers. Cypher fuhr seine Zunge wieder ein und lachte geradezu dämonisch: "Ach, wie reizend naiv Sie doch sind, mein lieber Mann. Und dabei riechen und schmecken Sie doch so herrlich nach Schweiß und Dreck. Sie ahnen ja gar nicht, was Ihnen da alles entgeht mit ihren kleinbürgerlichen Moralvorstellungen. Nun ja, ich will Sie für den Anfang erst einmal nicht weiter mit meinem freizügigen und ausschweifenden Lebensstil schockieren. Dafür ist später noch genügend Zeit. Jetzt schlüpfen Sie erst einmal hinten bei mir rein, damit wir uns im Anbruch der Dämmerung gemeinsam in aller Ruhe in den nachmittäglichen Verkehr stürzen können". Auf der Beifahrerseite wurde von Cyphers lang ausgestrecktem Arm die hintere Wagentür aufgestoßen, durch die sich Henry Fist äußerst zögerlich ins Wageninnere preßte. Er setzte sich, wobei er seine Hände übereinander gekreuzt auf seinen Schoß legte - eine Geste, die Cypher beim verstohlenen Blick in den Rückspiegel ein leises Zischen entlockte. Der Mann mit dem Hinkefuß startete den Motor und trat mit dem gesunden Fuß das Gaspedal durch, sodaß sich der Wagen mit seinen zwei Insassen ruckartig in Bewegung setzte.

Nicht minder ruckartig entwichen im Hausflur der Baker Street 221B diverse Töne dem Saxophon, an dessen Mundstück Charles Wannabes Lippen klebten, während sich sein Gesicht beim stoßweisen Blasen vor Anstrengung jedes Mal aufs Neue von blaßrosa nach dunkelrot verfärbte. Zugegeben, daß es sich bei der dabei hervorgebrachten Tonfolge um die Melodie des schottischen Klassikers "Auld Lang Syne" handeln sollte, mußte einem vorher schon gesagt werden. Dennoch waren die Fortschritte, die Wannabe machte, für die kurze Zeit seines Übens schon recht beachtlich, weshalb ihm Saxi auch immer wieder mit anerkennendem Nicken seinen Respekt zollte. Und auch Vierbein konnte nicht umhin, sich auf seine Hinterpfoten zu stellen und mit emporgestreckter Hundeschnauze den noch gar nicht aufgegangenen Mond anzuheulen. Ob sich dahinter allerdings nur das verzweilte Winseln um Gnade einer leidgeprüften Hundeseele oder aber ein Zeichen tiefster Bewunderung verbarg, war nicht genau auszumachen. Und doch glaubte der tapfer weiterblasende Charles natürlich felsenfest an das letztere.

Lukas Svensson ahnte derweil nichts von jenen versteckten Talenten seines Partners. Claudia und er waren inzwischen vom Kunstsammler Ardo an dessen Haustür in Empfang genommen und sogleich ins Wohnzimmer gebeten worden, woran wohl der laszive Augenaufschlag und der kurze Rock Claudias nicht ganz unschuldig gewesen sein dürften, wenn man die eindeutigen Blicke des Kunstliebhabers richtig auslegte. Aufgeregt schilderte Ardo seinen zwei Gästen bei einer Tasse Kamillentee das vorherige, unschöne Zusammentreffen mit Wannabe, den er statt bei seinem Namen immer wieder nur einen "ungehobelten Fatzke" nannte. Im Laufe des gemeinsamen Teetrinkens beruhigte sich der löwenmähnige Ardo schließlich zusehends, so daß Lukas die Zeit für gekommen erachtete, ihn nach seinem Interesse an der Paulusfigur zu befragen. Ardo aber schaute Lukas Svensson mit großen Augen an und erklärte schließlich ausschweifend: "Die Figur war ja noch bis vor ein paar Monaten für mich von eher geringem Interesse. Aufmerksam auf sie wurde ich quasi durch einen Zufall, als ich sie neben einem Spendenaufruf im Hintergrund auf einem Zeitungsbild entdeckte. Und so begab ich mich Mitte September eines Samstags in die Kathedrale, die gerade für die anstehende Hochzeit eines deutschstämmigen Briten mit einer russischstämmigen Britin hergerichtet wurde, um mir mit meiner Digicam ein eigenes Bild von der Statue zu machen. Ich näherte mich also ganz leise dem Objekt meiner fotografischen Begierde, als ich direkt davor ein Mädchen im Rollstuhl sitzen sah, das sich mit der Holzfigur unterhielt wie mit einem Menschen. Ich weiß ja auch nicht warum, aber ich blieb wie angewurzelt stehen und lauschte ihrer einseitigen Unterhaltung, bei der sie trotz allem immer wieder so tat, als reagiere sie auf etwas, was die Figur zuvor zu ihr gesagt habe. Später sprach ich die Kleine an und erfuhr, daß sie Lilly heißt und fast täglich in die Kirche geht, um mit dem Paulus zu reden. Er habe so etwas Lebendiges an sich, das würde ihr Vati auch immer sagen. Bei diesen Worten wurde sie mit einem Male sehr traurig und rollte schließlich schluchzend vondannen. Ich hab die Kleine danach zwar nie wiedergesehen, aber die Begegnung mit ihr hat mich tief im Innern berührt. Und immer, wenn ich in der Folge den Paulus besuchte und ablichtete, hatte auch ich das Gefühl, er spräche zu mir. Ja, manchmal sieht es - wenn man die einzelnen Schnappschüsse nebeneinander hält - sogar so aus, als würden sich seine Gesichtszüge und seine Körperhaltung im Laufe der Zeit ganz leicht verändern". Nachdenklich kratzte sich Lukas Svensson am Kopf und notierte mit einem seiner vielen winzigen Bleistiftstummel das Gehörte stichpunktartig auf einem seiner Notizzettel, den er sogleich zusammengeknüllt in seinem Regenmantel verstaute. Er bedankte sich daraufhin bei dem Kunstkenner und wünschte ihm noch einen schönen Tag und ein frohes Weihnachtsfest, worauf er mit Claudia im Schlepptau bedächtigen Schrittes die Villa verließ. Ardo aber sah Beiden aus dem Türrahmen noch lange nach, wobei seine Augen einmal mehr vor allem an den üppigen Rundungen Claudias zu kleben schienen. Erst als sie, in Claudias Wagen davonbrauseend, aus seinem Blickfeld verschwanden, begab sich der immer noch Morgenummantelte wieder in seine noble Behausung zurück.

Auch George Adams wäre in diesem Moment wohl lieber bei sich zuhause gewesen bei all der Mühe, die es ihm machte, in der anbrechenden Dunkelheit auf den heillos überfüllten und glatten Straßen immer weit genug und dennoch auch nicht zu weit hinter jener schwarzen Limosine zurückzubleiben, die auf ihrer rasanten Fahrt kreuz und quer durch halb London fahren zu wollen schien. Hinzu kam das Gezeter und Gebrüll des unausgeglichenen Yardchefs neben ihm, der sichtlich nervös teils sogar innerhalb eines einziges Satzes zwei bis drei widersprüchliche Anweisungen gab. Irgendwann beschloß der erfahrene George dann kurzerhand, seine Ohren einfach auf Durchzug zu stellen, so wie er es auch hin und wieder bei besonders hartnäckigen Zeitgenossen bei sich am Emfang zu tun pflegte. Er schaltete die Scheibenwischer ein, und lauschte dabei der leisen, monotonen Melodie, die sie beim Wegwischen der Schneeflocken von der Windschutzscheibe machten. Gerade wurde wieder eine Flocke vom Fensterglas hinfortgefegt, als mit einem Male in einer engen Gasse unmittelbar vor seinen Augen ein roter Laster wie aus dem Nichts von links aus einer Seitenstraße herausgeprescht kam und ihm damit sogleich auf ganzer Breite den Weg versperrte. George Adams trat mit voller Kraft auf die Bremse, wodurch die Stirn des nicht angeschnallten Sir Douglas unsanft die Bekanntschaft der Windschutzscheibe machte. Georges Hände lösten sich unterdess vom Steuer und schlugen mit ihren Innenflächen wieder und wieder verzweifelt auf die Hupe. Am Laster wurde die Scheibe auf der Fahrerseite heruntergekurbelt und ein untersetzter Herr steckte schulterzuckend den Kopf heraus, wozu seine Lippen ein lauloses "Immer mit der Ruhe!" formten. Diesem Motto folgend machte er sich dann auch ganz gemächlich daran, den Rückwärtsgang einzulegen und dann Zentimeter um Zentimeter nach hinten zurücksetzend die Straße wieder freizugeben. Am Ende dieser mehrminütigen Aktion aber lächelte er freundlich aus seinem Fenster heraus und winkte den Männern im Yardjeep gönnerhaft zu. Nun waren es Georges Lippen, zwischen denen sich zwei lautlose Worte formte, die der geneigte und im Lippenlesen versierte Beobachter des Ganzen leicht als ein "Blödes Arschgesicht!" zu entschlüsseln vermochte. Die schwarze Limosine war dank des zeitraubenden Vorfalls natürlich längst über alle Berge. Und während George ziemlich wütend seinen Kopf wieder und wieder auf den Mittelpunkt seines Lenkrads niedersausen ließ, brüllte es neben ihm: "Sie elender Versager! Zu blöd, um an einem lahmen Oldtimer dranzubleiben, der noch dazu auch von einem ebensolchen gelenkt wird! Wenn wir den jetzt verloren hätten, dann wäre das ganz allein Ihre Schuld!". Georges Gesicht färbte sich tief rot, und an seinem Hals begann die Schlagader sofort wild zuckend hervorzutreten, wozu nun auch er seine Stimme deutlich zur Geltung brachte: "Meine Schuld?! Ich hab Ihnen doch gleich gesagt, daß eine Verfolgungsjagd durch London unter diesen Umständen der reinste Wahnsinn ist! Sie kamen sich doch so unheimlich klug vor und sind mir einfach über den Mund gefahren. Und jetzt ist alles meine Schuld?!". Jeffrey Douglas aber keifte unbeeindruckt zurück: "Ja, genau so sieht es aus, und so wird es auch später in meinem Bericht stehen! Und jetzt halten Sie gefälligst Ihr vorlautes Mundwerk und fahren endlich weiter! Wir haben ja dank meiner weisen Vorausschau schließlich noch den Peilsender, der uns die Richtung vorgibt! Also vorwärts und dann an der nächsten Kreuzung nach links". Am liebsten wäre George Adams jetzt ausgestiegen und gegangen und hätte den Brüllaffen neben sich einfach sitzengelassen, aber das konnte er dem armen Henry Fist nicht antun, der schließlich auf seine Hilfe angewiesen war, wenn er am Ende des Tages nicht in einem Leichensack stecken wollte. Und so kam George dem Befehl seines Vorgesetzten nach und lenkte den Einsatzwagen des Yard nunmehr nach dessen - dem Display seines PDA entnommenen - Vorgaben durchs vorabendliche London.

Das dabei gesuchte schwarze Gefährt raste derweil in unvermindertem Tempo über die Straßen Londons, wobei Lou Cypher am Steuer immer wieder grinsend in den Rückspiegel schaute, wo sein zusammengekauerter Fahrgast nervös auf seinem Platz hin und her rutschte. Schließlich meinte Cypher: "Nun, mein Freund, wo wir jetzt quasi Partner sind, gestatte mir doch, daß ich Dir ein kleines Begrüßungsgeschenk mache. Schau doch einmal hinter Dir auf der Hutablage nach! Ich habe da etwas deponiert. Keine Angst, nur eine Kleinigkeit, nichts Weltbewegendes! Das kommt dann später, viel später! Wenn wir gemeinsam auf der Erde das Licht ausschalten, nicht wahr?!". Eingeschüchtert nickte Henry Fist und drehte dann den Kopf ein wenig nach hinten, wo auf der Ablagefläche hinter der Rücksitzbank tatsächlich ein großer, roter Stoffbeutel lag. Er nahm ihn an sich und öffnete ihn vorsichtig, wobei in seinem Innern ein weinroter Anzug, ein zartrosanes Seidenhemd, ein schwarzes Netzhemd und ein schwarzes Tangahöschen sowie ein paar beigefarbene Lederhalbschuhe zum Vorschein kamen". Von vorn aber zischte es leise: "Na, gefällt's Dir? Passen dürfte alles! Ich hab da nämlich ein Händchen, wenns um die Größe bei einem Mann geht! Probier die Sachen doch gleich mal an! Hier sieht Dich ja schließlich keiner, außer mir!". Henry Fist schüttelte ängstlich den Kopf, aber Cypher ließ nicht locker: "Na, mach schon! Zieh Dich aus! Oder willst Du am Ende gar, daß ich böse werde, Du undankbarer Wurm?!". Wieder schüttelte Fist sein Haupt und begann dann langsam damit, sich auszuziehen. Er legte seine zerschlissenen, schmutzigen Sachen neben sich auf der Sitzbank sorgsam zusammengefaltet übereinander, so daß er binnen weniger Minuten nur noch in Slip und Slippern dasaß. Aus dem Augenwinkel bemerkte er im Rückspiegel den lüsternen Blick Lou Cyphers, der in mit seiner gespaltenen Zunge sogleich antrieb: "Na komm schon, mach weiter! Nur nicht so schüchtern! Ich schau Dir schon nichts weg, Süßer!". Mit hochrotem Kopf und gesenktem Blick entledigte sich Henry Fist nun auch noch seines Schlüpfers und verbarg seine Blöße dabei sogleich umständlich durch das Vorlegen beider übereinander gekreuzter Hände. Cypher wandte seinen Blick für einen Moment lang von ihm ab. Henry Fist aber nutzte diese Gelegenheit, um sich in aller Eile den Tanga und das Netzhemd überzustreifen, was in dem daraufhin zurückkehrenden Blick Lou Cyphers sichtliche Erregung hervorrief. Ungeduldig krächzte der Hinkefuß: "Na los, zieh schon auch noch das Hemd und den Anzug an! Ich möchte schließlich sehen, wie er Dir steht! Und vor allem: Zieh endlich Deine alten Schuhe aus!". Wild begann Henry Fist den Kopf hin und her zu werfen und flehte: "Nein, nicht die Schuhe! Die kann ich nicht ausziehn, die muß ich anbehalten! Wenn ich die verliere, dann bin auch ich verloren ...". Erst jetzt bemerkte Henry Fist, daß er in seiner panischen Angst gerade dabei war, sich um Kopf und Kragen zu reden. Und so zermarterte er sich in aller Eile das Hirn, um eine plausible Erklärung für sein merkwürdiges Verhalten zu erfinden. Schließlich ließ er es auf einen Versuch ankommen und stammelte: "Ja, dann bin ich verloren, also sozusagen. Die Schuhe ... die haben nämlich ... nämlich mal meinem Vater gehört, müssen Sie ... mußt Du wissen. Und der sagte ... also, der sagte immer, Junge ... Junge, die Schuhe darfst Du nie verlieren oder weggeben, sonst ... also, sonst soll Dich der Teufel holen!". An Henry Fists Ohren drang mit einem Male schallendes Gelächter. Und sich mit der rechten Hand den Bauch haltend, prustete Cypher: "Was, das ist alles?! Und davor fürchtest Du Dich noch heute als ausgewachsener Mann. Hat Angst, daß ihn der Teufel holen könnte, wie dämlich! Ok, genug gefaselt: Runter mit den Drecksschuhen! Oder ich werd ganz schnell ungemütlich und zeig Dir gleich mal was, wovor Du wirklich Angst haben kannst!". Henry Fist riß sich zitternd die abgetretenen Schuhe von den Füßen und legte sie dann auf den Kleiderstapel neben sich. Lou Cypher aber betrachtete das Ganze zufrieden und sprach schließlich: "Gut, und jetzt kurbelst Du das Fenster runter und wirfst Deine alten Klamotten hinaus. Na los, wird's bald!". Henry Fist hatte längst aller Mut zum Dagegenhalten verlassen. Er fühlte sich diesem schrecklichen Kerl vor ihm auf Gedeih und Verderb ausgeliefert und versuchte nur noch, sein nacktes Leben zu retten, indem er alle Anweisungen Cyphers befolgte. Und so kurbelte er die geschwärzte Scheibe an der Hintertür des Wagens herunter und warf alle seine alten Sachen inklusive seiner Schuhe in hohem Bogen aus dem Fenster, wo sie am Straßenrand über mehrere Meter verteilt im Schnee landeten.

Tim Hackerman hatte inzwischen im Chefvozimmer des Yard seine Lippen von denen der wiederversöhnten Sabrina gelöst und schickte sich nun an, die mitgebrachten roten Rosen mit Wasser zu versorgen. Sabrina klebte derweil mit ihren Augen am Bildschirm ihres Computers, wo nun wieder das merkwürdige Memo von vorhin ihre Aufmerksamkeit auf sich zog. Tim, der inzwischen auf der Suche nach einer Vase in alle möglichen Schränke geschaut hatte, wandte sich hilfesuchend an seine Freundin: "Brienchen, wo habt ihr denn hier die Vasen versteckt?". Sabrina aber zog schon wieder einen Schmollmund: "Ich hab Dir schon hundertmal gesagt, Du sollst mich nicht Brienchen nennen und schon gar nicht Sabbel. Ich heiße Sabrina oder meinetwegen auch Gebieterin für Dich und damit basta!". Und schmunzelnd ergänzte sie: "Vasen hab ich hier keine, aber der Alte sammelt so komische olle Biermaßkrüge hinter seinem Ledersessel in den oberen beiden Regalen in seinem Vitrine im Chefbüro. Die sollten vom Umfang her genau das Richtige sein für die Bedürfnisse meines süßen, kleinen Rosenkavaliers. Fahr nur ruhig nach nebenan und hol Dir einen runter!". Timmy war über diesen ungewöhnlichen Vorschlag sichtlich erstaunt: "Aber ich kann doch nicht einfach so ins Büro Deines Chefs und mir ...". Sabrina aber zwinkerte ihm zu: "Doch kannst Du! Der Alte ist eh nicht da und außerdem guckt er die ollen Krüge seit seinem Einzug meist eh nur mit dem Hintern an. Dafür muß ich die blöden Bierbecher einmal im Monat alle abstauben, während er mir dabei von seinem Ledersessel aus ganz genau zuschaut. Na, wo der da hinguckt, kannst Du Dir ja sicher vorstellen! Jedenfalls nicht auf die Bierkrüge!". Tim Hackermann runzelte kurz die Stirn, dann fragte er: "Und wo steckt der Lüstling jetzt! Wo sind denn überhaupt alle abgeblieben? Selbst der Empfang war vorhin bei meinem Eintreffen unbesetzt". Sabrina Meltstone nickte: "Die sind alle auf Außeneinsatz. Irgendsoeine Top-Secret-Aktion mit einem armen Kerl, den uns der Charles Wannabe ins Haus geschleppt hat, als Lockvogel". Timmy verdrehte die Augen: "Hör mir bloß mit diesem Wannabe auf! Wenn Du wüßtest, was der alles so treibt ... Egal, also was ist das jetzt mit diesem Lockvogel?". Die Schulterpolster von Sabrinas Seidenbluse hoben sich leicht, wozu sie erklärte: "Keine Ahnung! Aber irgendwas stimmt da nicht! Kaum war der Mann vernommen, schon wurde er in den Keller zur Technikabteilung verfrachtet. Und der Alte rannte wie angestochen rum, engagierte und feuerte Mister Powerich quasi in einem Abwasch, schnallte sich eine schußsichere Weste um und machte dann selbst einen auf Einsatzleiter, wozu er George vom Empfang abzog und als Chauffeur mitnahm. Ich sag Dir, da läuft wieder irgendsoeine kleine Schweinerei des Alten, von der keiner was wissen soll!". Timmy dachte einen Augenblick lang nach, dann wendete er seinen Rollstuhl und entschwand - Sabrina eine flüchtige Kußhand zuwerfend - durch die Ausgangstür in den menschenleeren Flur des 20.Stocks, wobei er noch rief: "Kümmerst Du Dich bitte um die Blümchen, Brienchen?! Ich versuch mal, bei den Jungs im Keller rauszufinden, was hier abläuft. Wir sehen uns dann heut abend bei mir, ja?!". Sprachs und hatte die Tür, ohne eine Antwort abzuwarten, mit voller Wucht hinter sich ins Schloß fallen lassen. Die völlig verdutzte, einsam zurückgebliebene Sabrina aber knurrte nur leise vor sich hin: "Typisch Mann! Das Aufräumen bleibt wieder mal an mir hängen, nur weil der Herr was besseres vorhat. Und Brienchen hat er mich auch schon wieder genannt, der Lümmel! Dabei heiße ich Sabrina, ist denn das so schwer?!". Ihr kleiner Fuß in den hochhackigen Lederstiefeln stampfte einmal kräftig auf dem Büroteppich auf, wobei ihr Gesicht gleichzeitig wieder den für sie so typischen Schmollmund machte. Dann aber fiel ihr Blick auf den liegengebliebenen Rosenstrauß auf ihrem Schreibtisch und mit einem verschmitzten Lächeln ergänzte sie: "Aber irgendwie süß ist er ja trotzdem, mein kleiner, schnuckliger Rollerboy Timmy!".

Mit offenstehenden Türen und eingeschaltetem Warnblinklicht parkte derweil am Straßenrand der schwarze Einsatzjeep des Yard, hinter dem sich in einigem Abstand inzwischen eine lange Schlange ähnlicher Jeeps gebildet hatte. George Adams stand wie zur Salzsäule erstarrt neben dem von ihm zuvor gelenkten Auto auf dem schneebedeckten Bürgersteig und schüttelte wie in Trance die ganze Zeit über den Kopf. Dicke Tränen rannen ihm dabei über die Wangen, wozu seine beiden stark geröteten Augen zornig auf den zu seinen Füßen knienden Jeffrey Douglas herabschauten. Dieser aber hielt in seinen Händen einen ausgelatschten Schuh und betrachtete ihn dabei lang und breit von allen Seiten. Dazu hauchte die zittrige Stimme des amtierenden Yardchefs leise: "Warum nur hat er das getan, dieser Penner First? Wenn ihm dieser Cypher jetzt das Licht ausbläßt, dann ist das ganz allein seine Schuld! Eigentlich war die ganze unsinnige Aktion ja eh mehr oder weniger seine Idee und die von diesem Wannabeer. Ich wasche meine Hände da völlig in Unschuld! Alles, was ich jetzt noch tun kann, ist, im Interesse der nationalen Sicherheit und zur Vermeidung einer aufkommenden Massenpanik in der Bevölkerung unverzüglich eine breitangelegte Informationssperre auszurufen über diese Aktion und über alles, was uns dieser First im Rahmen seiner Vernehmung anvertraut hat. Und dann werde ich mich zum Zwecke der Erholung erst einmal auf eine weite Reise begeben - je weiter von hier weg, desto besser.". Damit erhob sich Jeffrey Douglas wieder, und stiefelte mit festem Schritt zielsicher zu seinem Wagen zurück, wo er sogleich auf dem Beifahrersitz platznahm und seinem Fahrer George zurief: "Also los jetzt, zurück zum Yard! Und zwar ein bißchen zügig, wenn ich bitten darf! Oder bekommen Sie das etwa auch nicht hin, Mister Addons". Georges Hände aber ballten sich zu Fäusten, während er auf dem Hacken kehrt machte und dem selbstgefälligen Douglas entgegenschrie: "Ich heiße Adams, Sie Armleuchter! Und ab sofort können Sie Ihren heuchlerischen Hintern allein durch die Gegend fahren. Ich bring Sie jedenfalls nirgends mehr hin, höchstens noch um die Ecke, wenn Sie jetzt nicht endlich Ihre Klappe halten!". Entgeistert starrte ihn Douglas an, dann knallte er wutentbrannt von innen erst die Beifahrertür und dann auch die Fahrertür des Jeeps zu. Schließlich rutschte er auf die Fahrerseite hinüber und startete den Motor. Per Knopfdruck ließ er noch rasch die Fensterscheibe auf der Beifahrerseite herunter und rief George Adams aus dem vorbeifahrenden Wagen heraus zu: "Das wird Ihnen noch sehr leidtun, Sie kleines Licht, Sie! Und übrigens versteht es sich ja wohl von selbst, daß Sie nach dieser verbalen Entgleisung mir gegenüber mit sofortiger Wirkung entlassen sind!" ...

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