INSPEKTOR SVENSSON: WANNABE SVENSSON [Der neue Adventskalenderroman]

Die folgenden Ereignisse finden zwischen 01 und 18 Uhr am Heiligen Abend des Jahres 2009 nach Christi Geburt statt. Alles, was Sie lesen, ereignet sich in weihnachtlicher Zeit.

EINE KLEINE VORWEIHNACHTSGESCHICHTE

- WEIHNACHTLICHES VORSPIEL IN 5 AKTEN -

PROLOG

Es ist ein Uhr nachts am Heiligen Abend. In seinem kleinen Einraum-Penthouse nahe dem Hennigsdorfer Nordpol sitzt ein Mann am Schreibtisch und hämmert eifrig Wort um Wort und Satz um Satz in den vor ihm stehenden Laptop. Der Mann, offensichtlich ein Dichter, sieht vom Gesicht her haargenau wie Lukas Svensson aus, trägt aber im Gegensatz zu ihm ein gelbes Poloshirt und eine blaue Jeanshose.

DICHTER (beim Tippen den geschriebenen Text laut vor sich her erzählend): Es wird Euch sicherlich erstaunen, an dieser Stelle nun ein Bühnenstück zu lesen statt dem erwarteten Krippenspiel. Doch keine Sorge, dies ist nur ein Vorspiel. Ein Vorspiel, das gedacht ist, um auf den weihnachtlichen Hauptakt einzustimmen. Wozu dieses ganze Theater, fragt Ihr Euch? Nun, vor allem, um Euch zu unterhalten. Und dann auch, um innerhalb der Geschichte eine Brücke zu bauen vom jähen nächtlichen Ende am Morgen des Heiligen Abends bis hin zu eben diesem selbst. Wohlan denn! Der Worte sind genug gewechselt, laßt uns nun endlich Handlung sehn!

1. AKT (der gleich noch zwei andere von der Sorte mit sich bringt)

In Claudia Palmers Küche. Am Küchentisch steht Hausherrin Claudia leichtbekleidet im Morgenmantel und ist mit dem Decken des Tisches beschäftigt, wobei sie neben einem Adventskranz mit vier brennenden Kerzen auch zwei Gedecke auf den Tisch stellt und dabei immer wieder einen Blick auf ihren Herd wirft, in dem etwas zu brutzeln scheint. Das Display eines auf dem Kühlschrank stehenden CD-Players zeigt 10:00 Uhr. Es klingelt an der Tür.

CLAUDIA (sofort zur Tür eilend): Wer kann das sein um diese frühe Morgenstunde?

Sie öffnet und vor ihr steht Ray, der sonnenbebrillte, gutaussehende Bote eines italienischen Restaurants, der ihr am Vorabend eine Bestellung auslieferte.

CLAUDIA (sichtlich erstaunt):Sie? Was wollen Sie denn hier?
RAY (die Sonnenbrille auf der Nase lässig nach unten schiebend): Ciao, Signorita! Ich komme, um Sie um die Einlösung Ihres Versprechens zu bitten.
CLAUDIA (völlig entgeistert): Meines Versprechens?! Sie meinen doch nicht etwa ...

Aus dem Nebenzimmer betritt Charles Wannabe unverhüllt die Küche.

CHARLES (das Epizentrum seiner Blöße notdürftig mit beiden Händen bedeckend): Wer ist dieser Fremde und was will er von Dir?
CLAUDIA (Charles verführerisch anlächelnd): Er hat mir gestern mit seinem Auto unser Dinner ausgeliefert. Und als Gegenleistung hat er sich von mir einen Gefallen auserbeten, den er nun wohl einzulösen gedenkt!
RAY (die Sonnenbrille auf der Nase rasch wieder nach oben schiebend): Ich habe doch gar keine Auto, Signorita? Und könnten Sie mir jetzt bitte den Gefallen tun, und Ihrem Freund da sagen, er möge sich etwas anziehen? Ich werd sonst am Ende noch blind oder gar zeugungsunfähig!
CLAUDIA (immernoch auf Charles schauend): Du hast den Mann gehört, Schatz! Geh doch bitte nach nebenan und zieh Dir etwas an, ja?!

Charles geht ab, und Claudia wirft im selben Moment Ray die Wohnungstür vor der Nase zu.

CLAUDIA (leicht schulterzuckend): Hätte gar nicht gedacht, das die Sache mit der Einlösung des versprochenen Gefallen für mich so leicht werden würde!
Claudia geht sie zum Küchentisch zurück, und setzt sich auf einen der beiden dort stehenden Stühle. Sie schaut zum Herd und erstarrt in dieser Haltung. Von links aber betritt der Dichter die Bühne.

DICHTER (nach vorn schauend): Sie fragen sich sicher, was das sollte, oder?! Nun, ich hatte diesem Ray mit seiner Sonnenbrille und der eigentümlichen Art, sich seine Lieferdienste bezahlen zu lassen, eine wiederkehrende Rolle versprochen. Und Versprechen muß man bekanntlich halten! Also ist er noch einmal wiedergekehrt, und das war's! Aber weiter im Text!

Der Dichter geht ab. Dafür löst sich schlagartig Claudias Erstarrung, und Charles betritt wieder die Bühne, diesmal im Unterschied zu seinem vorherigen Aufzug mit einem schwarzen Gürtel um die Hüften, an dem vom Bauchnabel her das Blatt eines Gummibaums nach unten baumelt.

CLAUDIA (ihn verzückt anstarrend): Äh, schon wieder ein neues Kostüm!
CHARLES (sich schmunzelnd zur Schau stellend): Ja, genau, und zwar das des Adam! Sehr passend wie ich finde, zumal mich mein Freund Lukas hin und wieder auch so zu nennen pflegt. Nämlich immer dann, wenn er der Meinung ist, das ich mich wie der erste Mensch aufführe.
CLAUDIA (lasziv lächelnd): Heute nacht hast Du Dich aber gar nicht wie der erste Mensch angestellt, Mister Wannabe, Sir!
CHARLES (grinsend): Danke für das Kompliment! Jederzeit wieder zu Ihren Diensten und zu allen Schandtaten bereit, Mam!
CLAUDIA (schmunzelnd an Charles herunterblickend): Das erkenne ich schon der momentane Aufwärtstrend Deines Gummibaumes, kleiner Casanova, Du! Aber Naschen kannst Du später wieder, junger Mann, jetzt wird erstmal gefrühstückt!

Claudia steht auf und geht zum Kühlschrank, auf dem der CD-Player steht, an diesem betätigt sie erst POWER, dann PLAY, worauf sofort die leise Melodie von Tiffany "I Think We're Alone Now" zu hören ist.

CHARLES (sich an die Stirn greifend): Aha, quasi ein Frühstück bei Tiffanys. Jetzt weiß ich auch endlich, was mein Engelchen heute nacht noch einmal ims Büro zurückkehren ließ. Die CD, Du wolltest Dir die CD holen!
CLAUDIA (nickend): Ja, ich dachte, wenn Du schon nicht bei mir bist, dann hol ich so wenigstens unser Lied nach Hause. Daß ich dabei Euch alle Beide bekomme, das wäre mir im Traum nicht eingefallen und schreit auch förmlich nach einer süßen Belohnung für mein Gummibaumblattbärchen!

Claudia kehrt wieder zum Küchentisch zurück, setzt sich und öffnet dabei den Gürtel ihres Morgenmantels, worauf dieser langsam von ihren Schultern herabgleitend unter ihrem nun unbedeckten Gesäß auf dem Stuhl zu liegen kommt. Ihre Beine schlägt sie dabei - einem Grundinstinkt folgend Sharon Stone mäßig - übereinander, und ihre Brüste werden - der Altersfreigabe wegen - mit zwei kleinen Mistelzweigen verdeckt.

CHARLES (mit weit geöffneten, funkelndan Augen): Welch paradiesischer Anblick! Da bekommt man doch gleich Appetit!
CLAUDIA (vor sich in den Obstkorb greifend): Einen Apfel?
CHARLES (kopfschüttelnd): Nein danke, mein Evchen! Ich hab ja schließlich keine Lust, gleich wieder aus Deinem himmlischen Paradiese vertrieben zu werden! Und deshalb wär jetzt eher für ein paar frische Brötchen und eine schöne Tasse Espresso!
CLAUDIA (nun ebenfalls den Kopf schüttelnd): Bedaure, aber jetzt gibt es erstmal das aufgewärmte Essen von gestern abend, das ich über Nacht im Tiefkühlfach eingefroren hatte.
CHARLES (nachdenklich nickend): Recht so, man sollte nämlich Essen nie umkommen lassen. Es gibt so viele da draußen, die nichts zu essen haben und sich nach so einem wiederaufgewärmte Festmahl sämtliche zehn ihrer dürren Fingerchen ablecken würden.

Charles steht auf, nimmt die auf dem Kühlschrank stehende Weinflasche und einen danebenliegenden Korkenzieher zu Hand und erkorkt die Flasche. Dann kehrt er zum Tisch zurück und gießt erst Claudias und dann auch sein Glas randvoll.

CHARLES (sein Glas ergreifend und damit Claudia zuprostend): Auf uns Zwei, mein Engel und auf unser kleines Paradies auf Erden! Und auf alle Menschen da draußen in nah und fern! Ihnen und uns ein Fröhliches und gesegnetes Weihnachtsfest!

Der erste Vorhang fällt. Das Orchester spielt "Ding Dong! Merily On High", und der Dichter klettert dazu auf die Bühne.

DICHTER: Und während nun bei Claudia und Charles erst einmal ausgiebig geschlemmt und dann vielleicht auch bald ein Braten in die Röhre geschoben wird, begeben wir uns an in den Keller im Hauptquartier der Londoner Antiterroreinheit zu Jack & Co, wo Cypher bereits seit Stunden auf kleiner Flamme brät.

Der Dichter geht ab, und der Vorhang öffnet sich zum zweiten Male.

2. AKT (bei dem man zusätzlich noch ein wenig auf die Folter gespannt wird)

Im Verhörraum Nummer 24 im Keller des CI7 Hauptquartiers. Lou Cypher sitzt, im wahrsten Sinne des Wortes bereits ziemlich angeschlagen, an Händen und Füßen gefesselt, angekettet an den am Boden befestigten Stuhl vor einem hin und herlaufenden CI7 Chef Jack, der recht nervös immer wieder auf die Uhr an der Wand schaut. Cypher aber hat Kopfhörer auf, aus denen, mal leise, mal so laut, daß einem die Ohren bluten könnten, eine Instrumentalversion von Matthias Reims "Verdammt, ich lieb Dich" zu hören ist, wobei in diesem Moment gerade der Refrain beginnt.

JACK (nach rechts laufend): Verdammt!
CYPHER (nach links murmelnd): Er will mich! Er kriegt mich nicht!
JACK (nach links laufend): Verdammt!
CYPHER (nach rechts murmelnd): Er quält mich! Das macht mir nichts!
JACK (nach oben auf die Uhr schauend): Verdammt!
CYPHER (nach unten murmelnd): Er fragt mich! Ich sag ihm nix! Er will es nicht kapiern!

Ein Moment betretener Stille folgt, nur die Melodie des deutschen Schlagers ist mal leise, mal wieder laut zu vernehmen.

JACK (verzweifelt): Ich hab doch nun wirklich alles probiert. Ich hab ihn mit Immunität vonseiten des Premierministers und der Queen zu ködern versucht. Ich hab ihn angebrüllt und ihm sämtliche Finger gebrochen. Ich hab an seiner Schulter geknabbert. Ich hab Agent Ian Jektion herbeigerufen, der ihm eine Mischung aus LSD, Kerosin und Airethin mit einer 24 Zentimeter langen Nadel mit voller Wucht in den Wanst gerammt hat. Ja, mehr noch, schon seit einer halben Ewigkeit beriesele ich seine Ohren mit diesem neuzeitlichen deutschen Liedgut. Und der Mistkerl verrät nichts. Egal, was man mit ihm anstellt, er schreit immer nur nach mehr!
CYPHER (ein Echo miment): Mehr, mehr, mehr!
JACK (ratlos): Bei diesem Typen stößt meine Verhörkunst echt an ihre Grenzen. Ich bin mit meinem Latein am Ende!
CYPHER (leise fremdsprachelnd): Quod erad demonstrantum!
JACK (wieder zur Uhr schauend): Und außerdem geht in einer halben Stunde mein Flugzeug.
CYPHER (grinsend): Hit The Road, Jack! And Don't You Come Back No More!
JACK (in den Ärmel seines Hemds flüsternd): Youstan, hören Sie! Wir brechen hier erstmal ab und setzen das Verhör nach den Feiertagen unter verschärften Bedingungen noch einmal fort, indem wir ihm Heintjes "Mama" in doppelter Geschwindigkeit vorspielen und eine Katze zu essen geben.
CYPHER (sichtlich zufrieden). Null Problemo! Na bitte, geht doch!
JACK (an Cypher gewandt): Also gut, Cypher! Für den Augenblick solls das erstmal gewesen sein. Und bevor wir Sie nun wieder in ihre Dunkelzelle bringen, schenk ich Ihnen - auch wenn Sie es keineswegs verdient haben - erst noch einen kleinen festlichen Moment.
JACK (erneut in seinen Hemdsärmel flüsternd): Youstan, die Weihnachtsdisc für Herrn Cypher, bitte!

Jack geht ab. Aus Cyphers Kopfhörer ertönen die ersten Takte von "Joy To The World". Cypher aber windet sich plötzlich und unerwartet wie eine Schlange in seinem Stuhl hin und her.

CYPHER (wimmernd): Aufhören! Aufhören! Ich sag ja schon alles, was Sie von mir hören wollen, nur stellen Sie diese schreckliche Musik ab! Ich verrate Ihnen dafür auch, wo ich die Atomraketen zu lagern gedenke, wie es mit Svensson weitergeht und obendrein sogar noch den Aufenthaltsort und die wahre Identität meiner Komplizen PreMount und DCALive. Die Zwei heißen nämlich in Wirklichkeit ...

Cypher erstarrt plötzlich. Von links aber betritt der Dichter die Bühne. Er öffnet einen am Boden stehenden Koffer mit einem schwarzen Kreuz und der Aufschrift "Letzte Hilfe" sowie dem kaum zu lesenden, schwarz umrandeten Hinweis "Die EU Gesundheitsminister warnen: Folter kann gesundheitsschädlich sein! Oder, um es anders zu formulieren: Kinder, versucht das bloß nicht zuhause!", in dem es von Spitzen und Kanülen sowie jeder Menge Ampullen mit unterschiedlich farbigen Flüssigkeiten nur so wimmelt, und entnimmt ihm eine breite Rolle Pflaster, von der er ein Stück abreißt und es Cypher dann quer über den offenstehenden Mund klebt. Das Pflaster aber trägt in roten Lettern die Aufschrift: "Zensur!".

DICHTER (kopfschüttelnd): Verflixter Teufelsbraten! Da wolltest Du doch tatsächlich all meine gutgehüteten und spannungsträchtigen Geheimnisse für die Fortsetzung meiner Geschichte verraten. Das kann ich natürlich auf keinen Fall zulassen. Und darum verurteile ich Dich für den Rest Deines Gastauftritts hier zum Stillschweigen. Nichts desto trotz nun aber erstmal weiter im Text!

Der Dichter geht ab. Dafür löst sich schlagartig Cyphers Erstarrung, und er versucht unter dem Einwirken der leisen Weihnachtsmusik in seinen Ohren, weiter alles auszuplaudern, was ihm allerdings mit dem Pflaster überm Mund sichtlich schwerer fällt.

CYPHER (unverständlich murmelnd): Mmh, mmh, mmh! Mmh, mmh, mmh!

Jack kommt noch einmal kurz von der Seite, bereits seine Lederjacke über einen seiner Arme gestreift.

JACK (leicht verärgert): Tja, reden ist eben Silber, Schweigen aber ist Gold! Und da wir es hier bei diesem so gar nicht goldigen Kerlchen scheinbar mit einem umso goldigeren Moment zu tun haben, mach ich mich auf den Weg zum Flughafen, um dort noch mein Flugzeug nach Hause zu erreichen.

Aus dem Hintergrund erschallt die Stimme eines kleinwüchsigen Mannes.

DIE STIMME DES KLEINWÜCHSIGEN (aufgeregt): Der Flieger, Boß, der Flieger!
JACK (auf dem Sprung): Verdammt, ich muß mich schon wieder sputen, sonst komm ich noch zu spät! Also dann, uns allen ein paar glanzvolle, himmlische Weihnachtsfeiertage. Lassen Sie uns im Kreise unserer Lieben alle gemeinsam stille werden! CU!

Jack eilends ab. Der zweite Vorhang fällt. Das Orchester spielt "Still, Still, Still", und der Dichter klettert dazu auf die Bühne.

DICHTER: Und während Lou Cypher noch immer, wenn auch jetzt nicht mehr ganz freiwillig, eisern schweigt und Jack sich auf den Weg zu seiner Tochter Kimmy macht, begeben wir uns zu Timmy in dessen Wohnung und damit an einen weiteren Küchentisch, der diesmal zugleich auch ein Mittagstisch ist.

3. AKT (in dem das Rollenspiel ungleichmäßig verteilt zu sein scheint)

In Tim Hackermans behindertengerechter Küche. Vorm Küchentisch sitzt Hausherr Timmy in Unterwäsche in seinem Elektrorollstuhl und ist mit dem Decken des Tisches beschäftigt, wobei er neben einem Teelicht unter einem Stövchen mit einer Porzellanteekanne auch zwei Gedecke auf den Tisch zu stehen hat und dabei immer wieder einen Blick auf seine Mikrowelle wirft, in der sich etwas zu drehen scheint. Es klingelt an der Tür.

TIMMY (langsam zur Tür rollend): Wer ist denn das um diese Uhrzeit?

Er öffnet und vor ihm steht im Anzug Charles Wannabe, mit einer Fünfzig-Pfund-Note vor sich herwedelnd.

TIMMY (leicht irritiert): Oh, Mister Wannabe, wie komm ich denn zu der unverhofften Ehre?
CHARLES (sich suchend im Raum umschauend): Naja, eigentlich gar nicht! Ich wollte nämlich nicht zu Ihnen, Timmy, sondern zu Misses Meltstone. Ist sie denn nicht hier?

Sabrina Meltstone betritt verschlafen mit zerzauster Frisur und nur mit einem schwarzen Top und ebensolchem Slip bekleidet die Küche.

SABRINA (gähnend): Oh doch, die ist da! Nur noch nicht ganz wach eben! Was kann ich für Sie tun?
CHARLES (lächelnd): Nun, fregen Sie nicht, was Sie für mich tun können, sondern, was ich für Sie tun kann. Ich hab da nämlich im Büro noch einen kleinen Notgroschen zu liegen gehabt, wissen Sie! Und davon hab ich heute nacht noch rasch 50 Pfund abgezweigt, von denen ich nun meine Schulden bei Ihnen bezahlen möchte!
TIMMY (leicht argwöhnisch): Fünfzig Pfund Schulden? Gibt es da etwas zwischen Euch Beiden, was ich wissen sollte?
SABRINA (etwas beleidigt): Also, Timmy, was denkst Du denn schon wieder von mir?
CHARLES (schmunzelnd): Ach, Tiny Tim hier denkt wohl, ich würde Sie damit für gewisse käufliche Liebesdienste entlohnen, was?! Nein, mein Bester, Ihre hübsche Freundin war nur so freundlich, mir gestern nachmittag 50 Pfund für das Auslösen meines Autos aus dem Polizeigewahrsam zu borgen. Und was nun Ihre kleine schmutzige Phantasie angeht, so seien Sie ganz beruhigt. Denn wenns ums Blasen geht, dann nehm ich lieber die Hilfe eines befreundeten Experten auf diesem Gebiet in Anspruch oder aber ich leg selbst Hand an an sein Instrument. Was Sie in Ihrem Kopfkino aus dieser Offenbarung machen, bleibt dabei ganz Ihnen überlassen. Aber wenn Sie mal eine ganz persönliche Kostprobe meiner Blaskünste wünschen, unsere Bürotür steht Ihnen immer offen! Und jetzt muß ich weiter, meine liebe Claudia wartet nämlich unten im Schlitten schon auf mich! Ich muß noch eine kleine Weihnachtsüberraschung für sie abholen, und dann gehts auch schon ab zur Kirche.

Charles geht ab, Sabrina schließt die Tür und setzt sich anschließend an den Küchentisch auf den einzigen Stuhl, der dort steht. Tim aber rollt ihr langsam mit gesenktem Haupt nach. Timmy greift, am Tisch angekommen, sofort zum langen Küchenmesser und schneidet den auf dem Tisch stehenden Truthahn an, von dessen fleischiger Brust er Claudia ein großes und sich ein kleineres Stück auf den Teller legt. Dazu verteilt er noch je zwei Klöße, eine Kelle Soße und etwas Rotkraut auf den Tellern. Dann sprechen Beide zusammen, jeder für sich, ein leises Gebet. Anschließend essen sie stumm vor sich her kauend Ihr eher bescheidenes Mahl, wobei immer wieder abwechselnd einer den anderen ansieht, während der andere gerade den Blick gesenkt hat. Dabei erstarren sie zwischenzeitlich, und der Dichter betritt von rechts die Bühne.

DICHTER: Nun, auf diese recht deprimierende Art und Weise werden die Zwei wohl auch in Zukunft große Teile ihres gemeinsamen Zusammenlebens verbringen, falls der gute Tiny Tim, wie ihn Charles zu nennen pflegt, nicht endlich seine Minderwärtigkeitskomplexe und seine geradezu kindische Eifersucht auf alles und jeden in den Griff bekommt. Schließlich kann man seiner Partnerin nunmal keinen Keuschheitsgürtel anlegen, und so gehört eine große Portion gegenseitigen Vertrauens einfach zu einer Liebesbeziehung dazu. Aber ich will hier jetzt nicht allzusehr den Moralapostel raushängen lassen, denn im Moment lösen die Zwei ihr Problem noch ganz gut auf ihre eigene Art. Und deshalb weiter im Text.

Der Dichter geht ab. Die Erstarrung bei Sabrina und Tim löst sich wieder, und sie verspeisen weiter stumm vor sich her kauend den Rest Ihres eher bescheidenes Mahls, wobei auch jetzt wieder immer abwechselnd einer den anderen ansieht, während der andere gerade den Blick gesenkt hat. Am Ende dieses verschwiegenen Mittagessens ist es schließlich Sabrina, die das bedrückende Schweigen bricht.

SABRINA (Tim strafend anschauend): Du oller eifersüchtiger Spinner, Du! Was hälst Du eigentlich von mir? Nicht nur, das Du mir zutraust, daß ich mich für Geld verkaufe! Nein, Du denkst auch noch, ich würde es mit Mister Wannabe tun und das für schlappe 50 Pfund! Nein, mein Lieber, so nicht! Unter 100 Pfund läuft bei mir nichts!
TIMMY (den Kopf vorsichtig hebend): Gilt das etwa auch für mich?
SABRINA (ein leichtes Schmunzeln zeigend): Ok, bei Dir nehm ich 75 Pfund! Aber nur, weil Du es bist! Und Du darfst sie getrost auch weiterhin in Form Deines unter mir gelagerten Körpergewichts bezahlen, solang Deine spitze Zunge nicht nur beim Reden so gut funktioniert!
TIMMY (grinsend): Versprochen! Wie wärs denn gleich mal mit einer kleinen Kostprobe?
SABRINA (sichtlich erregt): Na gut, ein bißchen Zeit haben wir ja noch! Also dann, ab ins Schlafzimmer und Ring frei zur nächsten Runde, Tiger!

Sabrina springt auf und läuft in Richtung Schlafgemach.

TIMMY (ebenfalls im Wegfahren begriffen): Oh, oh, oh! Was für eine verführerische Einstimmung auf das große Fest der Liebe! Und in heimlicher Vorfreude auf das gleich anstehende Auspacken meines verfrühten Weihnachtspräsents wünsche ich uns allen stets derart attraktive Geschenke und höhepunktreiche Feiertage!

Beide ab. Der dritte Vorhang fällt. Das Orchester spielt "Angels We Have Heard On High", und der Dichter klettert dazu erneut auf die Bühne.

DICHTER: Und während sich nun Sabrina und Timmy stürmisch wild und liebevoll zärtlich zugleich ihrer trauten Zweisamkeit hingeben, begeben wir uns an die Ufer der Themse, hin zum verschneiten Umfeld einer altehrwürdigen Brücke.

Der Dichter geht ab, und der Vorhang öffnet sich wieder.

4. AKT (in dem ein Paar flinke Kufen keine ganz unwichtige Nebenrolle spielen)

Unter der London Bridge. Ein kleiner, farbiger Junge namens Cedrick steht dick eingehüllt in mehrere Schichten von Lumpen und dennoch frierend im Schnee und wartet, während er immer wieder abwechselnd auf das Zifferblatt einer alten rostigen Taschenuhr in seiner Hand, auf die Straße oberhalb der Brücke und die Uferböschung entlang des Themseflusses schaut.

CEDRICK (nervös): Schon eine Minute nach viertel vor Fünf, und weit und breit kein Charles zu sehn! Bestimmt hat der mich längst vergessen, wie ich es ihm ja schon vorhergesagt habe. Ich sollte mir vielleicht als Hellseher mein Brot verdienen, so mit Horrorskopen oder wie der ganze Blödsinn heißt!

Der Junge geht vor der Brücke ein wenig auf und ab, wobei er sich immer wieder warmen Atem in die kalten Hände pustet. Er setzt sich auf einen Stein an einem der Brückenpfeiler und steht nach einer Minute wieder auf. Dann schaut er wieder erst auf seine Taschenuhr, dann am Themseufer entlang.

CEDRICK (seufzend): Man, Alter! Wo bleibst Du denn mit Deinem heißen Schlitten? Wie hast Du gestern doch so hoch und heilig versprochen? 'Und Dich, mein Kleiner, hol ich ganz persönlich ab. Hier, genau an dieser Stelle, am morgigen Abend um 16 Uhr 45!'. Naja, ich geb ihm mal noch eine Minute! Ist ja doch schließlich nicht mehr der Jüngste, der alte Mann!

Wieder geht Cedrick vor der Brücke kurz auf und ab und pustet sich dabei mehrfach warmen Atem in die kalten Hände. Er setzt sich noch einmal auf den Stein an einem der Brückenpfeiler und steht nach geschlagenen zwei Minuten wieder auf. Dann schaut er erneut auf seine Taschenuhr und danach am Themseufer entlang.

CEDRICK (ärgerlich): So, alter Mann! Lang genug gewartet! Du kommst ja eh nicht, und ich bin's leid, mir hier weiter den Hintern abzufrieren! Vertrauen, Verantwortung, Nächstenliebe, Weihnachtszauber - alles nur Humbug! Mir reichts, ich geh! Und tschüß!

Der Junge will schon zur Seite abgehen, da erstarrt er urplötzlich in seinem Schritt, und der Dichter betritt von rechts die Bühne.

DICHTER: Nun aber mal langsam mit den jungen Pferden, junger Mann. Für einen solch raschen und gewaltigen Abgang bsit Du in meinen Augen nämlich noch ein wenig zu jung. Und außerdem wird es Dir sicher nicht nur die Damenwelt eines Tages zu danken wissen, wenn Du Dir sowohl beim Kommen als auch beim Warten und beim Gehen ein wenig mehr Zeit läßt. Gib unserem Charlie und seiner Kutsche doch einfach mal eine Chance! Du wirst sehen, es lohnt sich! Ah, mir ist's als hörte ich da schon von fern die Glocken läuten - jene, die nie süßer klingen als zu der Weihnachtszeit. Und in diesem Fall dürfte das dann wohl die Claudia sein, die mit ihrem Charlie ein wenig Schlitten fährt. Na siehst Du, Mike L. Jag's Sohn, es geht doch, wenn man Dich nur ein wenig zügelt, ebenso wie der gute Charles da hinten seine beiden Pferdchen. Und mit denen geht es jetzt auch schon weiter im Text.

Der Dichter geht ab. Die Erstarrung des Jungen löst sich wieder. Und während er noch einen Schritt nach vorn vollführt, vernimmt auch er nun hinter sich in der Ferne am Themseufer das liebliche Glockengeläut. Er dreht sich um und schaut erneut völlig entgeistert am Themseufer entlang, von wo aus ein Schlitten immer näher kommt und schließlich direkt neben ihm zum Halten kommt. Vom Kutschbock aber springt mit Tränen in den Augen Charles Wannabe und läuft auf Cedrick zu.

CEDRICK (seine Arme öffnend): Ich habs ja die ganze Zeit gewußt, daß Du mich nicht enttäuschen wirst, alter Mann!
CHARLES (den Jungen in die Arme schließend): Wie könnte ich Dich auch je enttäuschen, kleiner Freund! Du bist neben meiner Claudia, Mister Pauli und meinen Vierbein schließlich das Beste, was mir je passiert ist!
CEDRICK (über die Schulter von Charles auf die Kutsche und Claudia starrend): Wow, hammermäßig! Wo hast Du denn das scharfe Geschoß aufgetrieben?!
CHARLES (den Kopf überrascht nach hinten drehend): Aber das ist doch Paulis Schlitten, den kennst Du doch!
CEDRICK (sich an den Kopf fassend): Alter, doch nicht die Kutsche, die Braut mein ich!
CLAUDIA (lachend vom Kutschbock her): Das scharfe Geschoß hat eigentlich eher ihn aufgegabelt. Und jetzt genug geschmust, die Herren! Wir haben immerhin wenig Zeit und noch einen langen Weg vor uns! Also aufgesessen und los geht's!
CEDRICK (flüsternd zu Charles): Au weia, mein lieber Scholle, die Kleine hat aber einen ganz schön forschen Ton an sich. Da steht ja wohl schon fest, wer bei Euch in Zukunft die Hosen anhat und wer so richtig unterm Pantoffel steht, oder?!
CHARLES (grinsend): Laß sie das bloß nicht hören, sonst verbringst Du nämlich Weihnachten nicht bei uns, sondern unter der Brücke hier!
CEDRICK (mit einer Träne im Auge): Siehst Du, ich sag's ja! Immer wieder bringst Du mich zum flennen!
CLAUDIA (die Zwei vom Kutschbock aus antreibend): Hopp, hopp, Jungs! Flinke Hufe! Wenn wir zuspät zum Krippenspiel kommen, dann geht's für Euch beide nämlich heute abend ohne Essen ins Bett! Und das wär wirklich zu schade, es gibt nämlich eine dicke, fette Gans!
CEDRICK (Charles auf die Schulter schlagend): Hey, Du hast Frauchen gehört! Hoch mit Dir, alter Mann! Die Gans ruft! Au man, na das kann ja vielleicht ein Weihnachten werden. Na dann mal frohe Fuhre und vor allem Frohes Fest!
CHARLES (sich langsam erhebend): Oha, meine Knochen! Hoffentlich sind die von der Gans nicht ganz so morsch wie meine! Ansonsten: Frohes Fest!

Cedrick und Charles begeben sich gemeinsam auf den Kutschbock zu Claudia. Claudia nimmt dabei die Zügel fest in ihre Hand und ruft einmal kräftig: "Hüah!", worauf sich der Pferdeschlitten in Bewegung setzt und abfährt. Der vierte Vorhang fällt. Das Orchester spielt "Jingle Bells", und der Dichter klettert dazu erneut auf die Bühne.

DICHTER: Und während sich nun Charles und Claudia samt Cedrick und den Pferden auf einer ausgedehnten winterlichen Schlittenfahrt in ganz gemütlichem Tempo auf den Weg in die Kirche machen, begeben wir uns noch rasch zu Yelena und Lukas Svensson, die auch schon in Aufbruchstimmung sein dürften.

Der Dichter geht ab, und der Vorhang öffnet sich wieder.

5. AKT (in dem reichlich Weihnachtsgebäck mitmischt)

In der Svenssonschen Küche. Am Küchentisch steht Hausherrin Yelena in Rollkragenpullover, Jeans und Küchenschürze und hat gerade mithilfe zweier runder Topflappen ein Blech mit fertiggebackenen Plätzchen aus dem Ofen geholt, als es an der Tür klingelt.

YELENA (gleich zur Tür laufend): Wer das können sein um dieses Zeit?

Sie stellt das Blech ab, legt ihre beiden Topflappen beiseite öffnet und vor ihr steht ganz außer Atem der Postbote Ihrer Majestät mit einem großen, schweren Paket von etwa 150x80 Zentimetern in den Händen.

POSTBOTE (schnaubend): Bin ich hier richtig bei den Svenssons?!
YELENA (überrrascht): Schon, ja! Aber wir gar nicht erwarten so großes Paket! Wer denn sein Absender?
POSTBOTE (auf dem Aufkleber nachsehend): Fritz Salomon, Schönhauser Allee, Berlin, Deutschland.
YELENA (freudig): Ah, das ja! Das sein liebes Onkel von mein Mann Luki! Sie können geben mir!

Der Postbote übergibt ihr das Paket, unter dessen Last sie beinahe in die Knie geht. Der Postbote aber greift ihr blitzschnell unter die Arme und bewahrt sie so vor ihrem Kniefall.

POSTBOTE (aufgeregt): Vorsicht, junge Frau, das Ding ist schwer! Na, ist ja noch mal gutgegangen! Nun denn: Ein Frohes Fest für Sie und Ihren Mann!
YELENA (noch etwas erschrocken): Ja, sein sehr schwer! Aber alles sein gut! Frohes Weihnacht für Sie auch!

Sie schließt die Tür und trägt das Paket unter großer Kraftanstrengung in die Küche, wo sie es auf einem der Stühle behutsam abstellt.

YELENA (rufend): Luki, Liebes! Da sein gekommen Paket von gutes Onkel Fritz!

Aus dem Nebenraum heraus betritt Lukas Svensson bereits in Anzugjacke und Oberhemd mit Krawatte, aber noch ohne Hose die Küche.

LUKAS (erfreut): Von Onkel Fritz? Da ist bestimmt der übliche Marzipanstollen drin! Mmh, wie ich mich schon auf den gefreut habe.
YELENA (schmunzelnd): Das dann aber sein großes Stollen bei ein solches schweren Paket!
LUKAS (das Paket nachdenklich betrachtend): Nun, da muß diesmal wohl noch mehr drin sein! Ob ich es mal aufmache?
YELENA (Lukas auf die Finger klopfend): Weg mit Finger! Es noch nicht sein Zeit für Bescherung und Auspacken von Geschenke!
LUKAS (leise flehend): Ach bitte! Vielleicht ist da ja etwas ganz Wichtiges drin! Etwas, das keinen Aufschub duldet!
YELENA (lächelnd): Also manches Mal Du sein schlimmer wie Kind wenn noch klein! Na gut! Du schon dürfen aufmachen Paket, kleines Luki!
LUKAS (in die Hände klatschend): Au fein!

Lukas reißt an der Schnur des Paketes und an dem Klebeband, mit dem es mehr als reichlich umwickelt ist, aber so sehr er sich auch bemüht, beides gibt seinem Zerren einfach nicht nach. Vom Küchentisch nimmt derweil Yelena ein großes Brotmesser zur Hand.

YELENA (Lukas das Messer reichend): Du es vielleicht einmal damit versuchen, großes Entfesslungskünstler?!
LUKAS (nickend): Gute Idee, mein Schatz! Was würde ich doch nur ohne Dich anstellen?
YELENA (schmunzelnd): Nun, Du wahrscheinlich noch würden kämpfen mit großes Paket bis Neues Jahr!

Lukas hat unterdess mit der Schere das Paket aufgeschnitten. Er klappt den Deckel beiseite und schaut in das Paket hinein, wo er neben dem Stollen übereinandergestapelt noch unzählige alte dicke Buchbände vorfindet. Er nimmt eines der Bücher heraus und klappt den Deckel auf.

LUKAS (den Titel und die darunterstehende handschriftliche Widmung vorlesend): Sherlock Holmes von Sir Arthur Conan Doyle - Sonderausgabe mit sämtlichen Geschichten des weltberühmten Detektivs in 6 Bänden. Für unseren kleinen Liebling Lukas als Geschenk zum Heiligen Weihnachtsfest 1955. Wir lieben Dich! Und wir danken Gott für jedes Weihnachten, das wir gemeinsam feiern dürfen! Maria und Josef Svensson.
YELENA (einen Brief an der Innenseite des Pakets herausziehend): Hier auch sein Brief!

Lukas nimmt von Yelena den Briefumschlag entgegen, öffnet ihn und entfaltet das darin enthaltene Schreiben.

LUKAS (den Brief laut vorlesend): Lieber Lukas! Ich wünsche Dir und Deiner bezaubernden Frau Gemalin sowie Deinem Freund Timmy ein Frohes und Gesegnetes Weihnachtsfest sowie einen Guten, wenn auch nicht wörtlich zu nehmenden, Rutsch ins neue Jahr! Anbei die Bücher, die mir vom Nachlaßverwalter meines Herrn Bruders aus seiner neuen Heimat England kurz nach seinem Tod zugesandt wurde. Wie ich der innseitigen Widmung erst jetzt beim Aufräumen meines Kellers entnommen habe, dürften Sie von Anfang an für Dich bestimmt gewesen sein! Viel Freude beim Lesen und besinnliche Feiertage! Dein Onkel Fritz!

Eine einsame Träne kullert aus Lukas' Auge auf den Küchenboden. Yelena nimmt ihren Mann in die Arme und streichelt über seine Wange.

YELENA (tröstend): Du gar nichts müssen sein traurig! Das doch sein sehr schönes Geschenk von Dein Eltern! Und liebes Geste von gutes Onkel!
LUKAS (sich die Träne wegwischend): Du hast ja recht, mein Engel! Aber die Zwei fehlen mir doch so sehr seit Ihrem Unfall damals am Heiligen Abend 1955! Und doch hab ich seit Deiner Entführung vor ein paar Monaten das seltsame Gefühl, als hätte ich sie noch einmal gesehen und sogar mit ihnen Weihnachten gefeiert. Ja, genau, wir waren zusammen in London, in Rußland und auch in Berlin. Da haben wir den Weihnachtsmarkt am Alex besucht und einen sehr schönen Abend verbracht, bevor sie dann am Flughafen Schönefeld wieder als Engel gen Himmel entschwebt sind.
YELENA (seufzend): Ach, Luki! Das aber gewesen sein wirklich schönes Traum!
LUKAS (nachdenklich murmelnd): Ja, auch wenn ich mir nicht so sicher bin, ob das wirklich nur ein Traum war. Dafür war das Ganze einfach zu real, weißt Du?! Nur zu schade, daß ich keinen Beweis für das Ganze hab!

Lukas und auch Yelena erstarren mit einem Male in ihren Bewegungen, und der Dichter kommt von links die Bühne.

DICHTER: Menschenskind Lukas! Wo ist denn auf einmal all Dein kriminalistischer Spürsinn geblieben? Den gewünschten Beweis hab ich Dir doch seinerzeit längst in die Hand gegeben. Naja, da werd ich mir wohl noch was einfallen lassen müssen, um Dich wieder daran zu erinnern. Aber das hat sicherlich noch einen Moment lang Zeit, oder?! Also jetzt erstmal weiter im Text.

Der Dichter geht ab. Die Erstarrung des Svenssonpaares löst sich wieder, und Yelena beugt sich zu ihrem Lukas herüber und drückt ihm einen sanften Kuß auf die Wange.

YELENA (voller Mitgefühl): Ja, das wirklich sein schade sehr! Aber Du ja haben Erinnerung an diese wundervolles Erlebnis, welche Du tragen in Dich und was niemand Dir können nehmen.
LUKAS (Yelenas Kuß erwidernd): Das hast Du aber schön gesagt, mein Engel! Und auch ich danke, wie schon meine Eltern, Gott für jedes Weihnachten, das ich mit Ihnen feiern durfte. Und für jedes, das ich bis jetzt mit Dir feiern durfte und auch in Zukunft noch mit Dir feiern darf, wie viele auch immer das noch sein mögen!

In diesem Moment meldet sich das hölzerne Vögelchen aus der Kuckucksuhr an der Wand und schlägt exakt 5 mal an, womit es 5 Uhr nachmittags ist.

YELENA (erschrocken): Oh, es sein schon so spät! Wir losmüssen zu Kirche, sonst wir noch kommen zu spät!

Damit wirft sie ihre Schürze auf einen der Stühle und verschwindet blitzschnell im benachbarten Schlafzimmer.

LUKAS (den Blick nach oben gerichtet): Ja, es ist Zeit! Zeit, einmal Danke zu sagen für das Geschenk, daß Du uns mit der Geburt Deines Sohnes gemacht hast. Mögen wir dieses großartige Geschenk wie auch das unseres Lebens für immer ganz bewußt in unseren Herzen mit uns tragen. Vor allem, wenn auch nicht nur, an Weihnachten! Frohe und Gesegnete Weihnachten uns allen! Ehre sei Gott in der Höhe und Friede auf Erden unter den Menschen, an denen Gott Wohlgefallen hat. Amen!"

Lukas geht ab in Richtung Schlafzimmer. Der fünfte Vorhang fällt. Das Orchester spielt "We Wish You A Merry Christmas", und der Dichter erklimmt ein letztes Mal die Bühne.

DICHTER (reimend): Und ist's nun an der Zeit zu gehn, so sag ich nun Aufwiedersehn! Auch ich wünsch ohne jede Frage, uns allen Frohe Feiertage! Und hoffend, dieses Stück gefiel, gehts weiter dann beim Krippenspiel!

Der Dichter geht ab, und der geschlossene Vorhang wird von oben herabfallen gelassen, wobei sich die zunächst stockdunkle Bühne sich mit einem Male in eine herrlich weiße, weihnachtliche Schneelandschaft verwandelt, in deren Mitte die riesigen, fast bis in den Himmel hineinragenden Türme der St.Pauls Cathedral von den Spots kleiner bunter Scheinwerferlichter angestrahlt erscheinen. Schlittenglocken ertönen und verstummen wieder. Das Orchester aber spielt leise "Stille Nacht" ...

[WIRD FORTGESETZT] -> [Zurück]