INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG [Der neue Fortsetungsroman]

Einleitung

"Mein lieber Onkel Fritz,

Hab vielen lieben Dank für Dein Weihnachtspäckchen! Den Marzipanstollen haben Yelena und ich, wie schon in den Vorjahren, binnen kürzester Zeit gemeinsam verschlungen - ebenso wie wir es nun zwischen den Jahren mit der von Dir beigefügten Lektüre tun. Auch dafür meinen wärmsten Dank! Die Sonderausgabe der Sherlock-Holmes-Geschichten kam dabei genau zur richtigen Zeit. Und das nicht nur, weil ich sie endlich zur Hand nehmen kann, ohne dabei jedesmal nur den schmerzlichen Verlust meiner Eltern zu spüren, welcher - wie Du wissen mußt - im Grunde genommen vor allem mit diesen 6 Bänden zu tun hat. Nein, auch deshalb, weil ich ja - dank Charles Wannabe Geschäftsidee - inzwischen praktisch selbst in die Fußstapfen des berühmten Detektivs treten durfte. Du kannst Dir übrigens gar nicht vorstellen, was wir Beide - Charles und ich - dabei schon am Tag unserer Geschäftseröffnung erlebt haben. Und so möchte ich Dir an dieser Stelle einmal in aller Kürze zu berichten versuchen,
WAS ZULETZT GESCHAH:
Es war in der Nacht vor dem Heiligen Abend, exakt um Mitternacht, als ich mich mit Charles Wannabe in unserem Büro in der Baker Street 221B traf. Der gute Charles hatte dabei alles ganz akribisch geplant, nur leider lief dann eben nichts so, wie er es sich vorgestellt hatte. Die gut gesicherte Bürotür ließ weder sich noch ihn ihn eintreten, das noble Essen landete auf fremden Tellern und der neue Computer gab den vorweihnachtlichen Geist auf. Charles Wannabe war gerade so richtig schön am Verzweifeln, da schneite uns durch Pastor Shepherd - Du erinnerst Dich ja sicher noch an ihn, denn er war schließlich derjenige, der Yelena und mich getraut hat - unser erster Fall ins Haus. Die hölzerne Paulusfigur aus der St.Pauls Cathedral war verschwunden. Und so begaben Charles und ich uns auf die Suche. Das heißt, am Anfang eigentlich nur Charles. Mich schickte er mit dem - auf seine charmante Art vorgetragenen - Verweis auf mein Alter nach Hause ins Bett. Er hingegen ging auf Spurensuche, die ihn über die Kathedrale und den Pfarrer erst zum Schöpfer der Figur und dann direkt unter die London Bridge zu einer Gruppe Obdachloser führte. Und genau dort begann dann das, was ich jetzt im Nachheinein auch gern als die wundersame Verwandlung des Charles W. bezeichne. Mit einer zerissenen und dreckbesprenkelten Hose paßte sich der sonst stets in feisten Zwirn gehüllte Wannabe rasch seiner Umgebung an und fand so doch sehr schnell den Kontakt zu seinen Zielpersonen. Dabei begegneten ihm auch eine Lady namens Diane und ein gewisser Pauli, wobei letzterer offensichtlich von Anfang an einen gewaltigen Eindruck bei dem mürrischen Kauz hinterlassen haben muß. Keine Ahnung, wie dieser Pauli das geschafft hat?! Auf jeden Fall lernte Charles, da unten angekommen, eine Abart des Lebens kennen, die ihm bislang so gar nicht vertraut war, weil er sich darum bisher einen wahren Dreck geschert hatte - ein Leben in tiefster Armut und Ausgestoßenheit. Ein farbiger Junge namens Cedrick fand dabei ebenso Zugang zu seinem zuvor stets verstockten Herzen, ebenso wie ein gewisser Henry Fist, der als ehemaliger Forschungsassistent in einem Atomkraftwerk einen rasanten gesellschaftlichen Abstieg erlebt hatte. Eben dieser geriet dann, wenig später, beim Besuch des Sozialamts an einen mysteriösen Kerl namens Lou Cypher. Der nahm Henry Fist in einer abgedunkelten Limosine kurzerhand mit zu sich nach Hause in seine Kellerbehausung und machte ihm dort das verlockende Angebot, mit ihm und seiner Organisation "Final Countdown" die Welt und die gesamte Menschheit zu vernichten - mithilfe von mehreren nuklearen Erstschlägen überall auf der Erde. Fist bot sich Bedenkzeit aus, in welcher es Pauli gelang, ihn zu überzeugen, die Behörden über Cyphers terroristische Pläne in Kenntnis zu setzen. So brachte ihn Charles Wannabe schließlich zum Yard, wo er seine Aussage machte. Zu dumm nur, daß Fist wie auch das Yard den Aufenthaltsort Cyphers nicht kannten und daß der arme Henry an den machthungrigen kommissarischen Yardleiter Jeffrey Douglas geriet, der hierin seine Chance für einen weiteren gewaltigen Karrieresprung witterte. So übergab er den offensichtlichen Fall von internationalem Terrorismus auch keineswegs an meinen Freund Jack aus L.A. und dessen Antiterroreinheit CI7, sondern organisierte auf eigene Faust eine waghalsige Aktion mit Henry Fist als Lockvogel. Es kam, wie es kommen mußte: Die Aktion scheiterte, und Cypher war mit Fist spurlos verschwunden. Was dieser Teufel Lou Cypher dem armen Henry in seinem Kellerverlies alles angetan hat, läßt sich nur schwerlich erahnen, aber auf alle Fälle entlockte er ihm mittels Folter und Drohungen eine genaue Beschreibung, wie man aus Uran 235 einen Atomsprengkopf baut. Diese Beschreibung teilte er denn übers Internet mit seinen beiden Komplizen, die sich dort PreMeount und DCALive nannten. Fist selbst jedoch war nach dieser umfassenden Auskunft über sein Fachwissen für Cypher nunmehr ein unnötiges Sicherheitsrisiko geworden, und seine Beseitigung mittels einer gehörigen Ladung Sprengstoff - der auch alle anderen möglichen Spuren zu Cypher und Co zum Opfer fallen sollten - war längst beschlossene Sache. Nur gut, daß es beim Yard ein paar aufrechte und mutige Leute gab, allen voran mein Schützling Tim Hackerman und der neue Leiter der Mordkomission John Wayne Powerich, die den CI7 auch gegen Jeffrey Douglas' ausdrückliches Verbot über die gescheiterte Aktion des Yardchefs und die bestehende Bedrohung durch Cyphers Plan zur atomaren Vernichtung der Welt informierten. Mein guter Freund Jack setzte fortan alle Hebel in Bewegung, Cypher und Henry Fist zu finden, allerdings zunächst ohne Erfolg. Erst als Charles Wannabe, inzwischen in einem von mir gekauften Weihnachtsmannkostüm steckend und durch eine tierische Zufallsbekanntschaft auf den Hund gekommen, bei einem spontanen Candlelightdinner mit unserer Sekretärin Claudia Palmer, begann, all die Irrungen und Wirrungen seines bislang längsten Tages nocheinmal Revue passieren zu lassen, da stieß er mit einem Male auf eine Spur, die direkt zu der Adresse des Verstecks von Cypher führte. Gemeinsam mit Charles, Timmy, Powerich und mir machten sich Jack und der CI7 auf den Weg ins östliche London, um Henry Fist zu retten und Lou Cypher zu verhaften. Die Stürmung des ominösen Kellers hätte uns dabei beinahe das Leben gekostet, denn der Countdown für die Zündung der Sprengladungen war schon in vollem Gange. Nur dem beherzten und unerschrockenen Eingreifen von Jack ist es zu verdanken, daß auch die letzten Agents noch rechtzeitig aus dem Gebäude herauskamen und daß der Computer Cyphers mit all den verbliebenen Informationen des geplaten Atomanschlags sichergestellt werden konnte. Als geplanter Angriffstermin wurde bei dessen Auswertung durch meinen Freund Timmy der 01.01.2015 00:06 Uhr ermittelt. Und es kam noch zusätzlich heraus, daß Cyphers Komplizen offenbar noch eine alte Rechnung mit mir zu begleichen zu haben glauben, auch wenn ich mir einfach so gar keinen Reim darauf zu machen vermag, wer aus meiner kriminalistischen Vergangenheit wohl hinter den Pseudonymen PreMount und DCALive stecken könnte. Nun ja, wie dem auch sei: Der Einsatz von Jack und dem CI7 war jedenfalls in ganzer Linie ein Erfolg, zu dessen Krönung nur noch die Ergreifung Cyphers fehlte. Und da kam dann noch einmal ich ins Spiel. Ich stellte den Dreckskerl nämlich wenige Minuten nach der Detonation seiner Sprengladungen eher zufällig in der Nähe des Hauses und warf ihm bei einem Fluchtversuch mein Handy an den Kopf, welches ihm im wahrsten Sinne des Wortes einen technischen K.O. bescherte und zu seiner Festnahme durch Jack führte. Und während man anschließend im Hochsicherheitstrakt des CI7 bislang erfolglos versuchte, dem Satansbraten weitere Informationen zu entlocken, löste sich an anderer Stelle unser eigentlicher Fall der verschwundenen Paulusstatue quasi wie von selbst. Die Mutter eines kleinen Mädchens namens Lilly hatte die Figur wieder zurückgebracht, wobei sie meinte, ihre Tochter hätte sie beim Spazierengehen im Hyde Park zufällig entdeckt. Sowohl der Pastor als auch wir ließen es bei dieser Erklärung bewenden, waren wir doch allesamt heilfroh, daß der "Holzkasper" - wie Charles die Figur anfangs abschätzig zu nennen pflegte - wieder da war. Und so feierten wir gemeinsam mit Pastor Shepherd, dem Paulus und allen mehr oder minder in die ganze Geschichte involvierten Personen einen wundervollen Heiligabend mit einem Krippenspiel, bei dem mein Freund Charlie aushilfsweise sogar noch den Engel des Herrn verkörpern durfte. Doch nicht nur das, der alte Haudegen ist auch sonst wie ausgewechselt. Er spielt mit einem Male Saxophon und unterhält sich angeregt mit Holzfiguren in Kirchen. Er tobt mit seinem Hundekamerad, den er übrigens Vierbein getauft hat, stundenlang im Schnee herum und sieht alte Polizeirufzellen und namenlose Doktoren, wo gar keine sind. Und er lädt ein ganzes Dutzend Obdachloser zum Weihnachtsessen zu sich nach Hause ein.
Mehr noch: Inzwischen bemüht sich Charles Wannabe bei den Behörden sogar um das Sorgerecht für seinen neuen Freund Cedrick, der übergangsweise bei ihm zuhause lebt. Und er plant für den Anfang kommenden Jahres, gemeinsam mit Cedrick mit Claudia Palmer zusammenzuziehen. Wäre da nicht die Tatsache, daß er auf dem Papier immer noch mit der im Londoner Pflegeheim "Heavensdoor" im Koma liegenden Freakadelly-Tochter Janet verheiratet, hätte er Claudia vermutlich sogar schon einen Heiratsantrag gemacht. Und es würde dann unter Umständen eine Doppelhochzeit geben, denn auch mein Schützling Timmy hat es noch am Heiligabend dazu fertiggebracht, seiner Freundin Sabrina Meltstone das Ja zu seinem Antrag zu entlocken. Und was das Personalkarrussell im Yard und beim CI7 angeht, so ist da zum Jahreswechsel mal wieder einiges in Bewegung. Die Yardleitung übernimmt nach der unehrenhaften Entlassung von Jeffrey Douglas wie schon geplant zunächst erst einmal wieder Ex-Yardchef Eddi Wallace. John Wayne Powerich ist weiterhin Leiter der Mordkommission, nachdem man seine zuvorige Suspendierung durch Douglas nachträglich für ungültig erklärte. Timmy hat ab März nächsten Jahres auf Empfehlung des Großen Bauer den Posten des stellvertretenden CI7-Leiters inne, dessen bisheriger Inhaber Youstan Texas nun selbst zum Chef aufsteigt. Mein Freund Jack kehrt unterdessen zurück nach L.A. in den Schoß seiner Familie. Wie lange er es allerdings mit dieser Form des Ruhestands auushält, ist in meinen Augen fraglich. Ja, wie ich Jack kenne, bin ich mir sogar 100%ig sicher, daß er schon bei der nächsten Bedrohung, von der er Kenntnis erhält, wieder in die aktive Terrorbekämpfung einsteigt. Die Welt braucht einfach Leute wie ihn. Und er?! Nun, er braucht eben Aufgaben, die ihn herausfordern und ihn wieder und wieder bis an seine Grenzen vorstoßen lassen und manchmal sogar weit darüber hinaus. Was mich angeht, so werde ich weiter fürs Erste mit Charles Wannabe gemeinsam privatermitteln und meine freien Stunden meiner Frau Yelena und meiner Familie widmen. Momentan haben wir zum Beispiel bis über den Jahreswechsel hinweg meine Tochter Lisa, Yelenas Tochter Jane und meinen Enkel Luke zu Besuch. Der Kleine sitzt abends immer auf unserer Couch im Wohnzimmer auf meinem Schoß und lauscht ganz begeistert, wenn ich ihm aus den Abenteuern von Holmes und Watson vorlese. Und meine Lisa erfreut uns nachmittags mit ihrem virtuosen Geigenspiel. Nur um die kleine Jane mach ich mir manchmal ein wenig Sorgen, zumal ich nicht genau weiß, was sie wohl am ersten Weihnachtstag so plötzlich bewogen haben könnte, ihre Freundin Cathrin zuhause allein zu lassen und stattdessen mit Luke zu uns zu kommen. Reden möchte sie darüber nicht, und wenn ich versuche, mit ihr ins Gespräch zu kommen, so blockt sie immer ab und vermeidet sogar den Augenkontakt zu mir. Nun ja, was es auch sei, ich denke, die Wogen zwischen Jane und Cathrin werden sich schon wieder glätten, bei allem, was sie gemeinsam schon durchgemacht haben. So, und damit komme ich auch für heute erstmal zum Ende. Ich wollte Dir zwar noch irgendetwas Wichtiges erzählen, aber ich erinnere mich im Moment beim besten Willen nicht mehr daran, was es war. Naja, man wird eben alt! Aber wem erzähl ich das?! Apropos Alter! Anbei findest Du übrigens wieder einen jener alterlesenen Tropfen besten schottischen Whiskeys, die Du ja so schätzt. Ich hoffe, er mundet Dir, und Du erhebst ihn am Silvesterabend kurz vor Mitternacht gemeinsam mit ums, um auf ein Gesundes Neues Jahr 2010 anzustoßen! Möge es uns stets nur das Beste bringen! In diesem Sinne, liebe Grüße auch von Yelena und dem Rest meiner kleinen Familie.

Dein Neffe Lukas - London, den 27.12.2009"

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