INSPEKTOR SVENSSON: ABSCHIEDSVORSTELLUNG [Der neue Fortsetungsroman]

"Der letzte Vorhang fällt. Eine bislang unfaßbare Bedrohung nimmt langsam Gestalt an. Mein Leben und das derer, die mir am Herzen liegen, steht auf dem Spiel. Bekannte wie unbekannte Gesichter betreten die Bühne und spielen ihre Rolle in dem Stück "Der Untergang der Erde". Ich bin Ex-Inspektor Lukas Svensson, und das hier sind die letzten Tage meines Lebens"

EPISODE 03: Es geht ein' dunkle Wolk' herein

Mit bloßen Händen hatte sich Lukas Svensson erneut voller Verbissenheit an das Untergraben der ungeheuerlichen Schuttmassen gemacht. Tränen kullerten ihm dabei ohne Unterlaß die blaßrosanen Wangen herab und fielen von dortaus als wohltuende Kühlflüssigkeit auf seine wundgescheuerten, schmerzenden Handrücken. Geradezu wie besessen hob er Stein um Stein und Erdbrocken um Erdbrocken direkt an einem der rückwärtigen Mauern der St.Pauls Cathedral ein kleines Loch von etwa einem Meter Länge, einem halben Meter Breite und ebensolcher Tiefe aus. Dann trug er in seinen Armen vom nahegelegenen Autowrackdach den schlaffen, leblosen und langsam erkaltenden Körper des Hündchens Vierbein zu jenem Erdloch herunter und legte ihn behutsam hinein. Er schlug mit dem zittrigen Zeigefinger der rechten Hand ein Kreuz vor seiner Brust und stammelte weinend: "Ruhe in Frieden, Vierbein! Genau an dieser Stelle, wo mein Freund Charles Wannabe Dich einst in einem seiner zweifellos glücklichsten Momente wiedertraf, obwohl er Dich ja schon damals für auf ewig verloren erachtete, soll nun Deine letzte Ruhestätte sein! Du warst mir ein guter, ein lieber Weggefährte, wenn uns gemeinsam auch nur eine kurze Wegstrecke vergönnt war. Nun aber, da Du Deinen letzten Weg vorerst ohne mich antrittst, werde ich mir eine neue Wegbegleitung suchen müssen. Wer aber auch immer für die kommende Zeit diesen Platz an meiner Seite einnehmen wird, es wird ihm nur schwerlich gelingen, die Lücke auszufüllen, die Dein Tod in mir hinteräßt! Leb wohl, treuer vierbeiniger Kamerad!". Und Hand um Hand Sand und Gesteinsstaub über den toten Leib des Hundes streuend, ergänzte er schweren Herzens leise murmelnd: "Asche zu Asche, Staub zum Staube! Dein Erdendasein ist vergänglich, aber in den Herzen und Gedanken derer, die Dich kannten und liebten, lebst Du auf ewig weiter! Amen!". Sachte plazierte er ein paar kleine Steine auf dem provisorischen Grabmal des Hundes und steckte dann eine, zu einem Kreuz verschweißte Gitterverstrebung - die sich aufgrund der heftigen Druckwelle der Bombenexplosion wohl aus einem der Kirchenfenster gelöst haben mußte - in den soeben aufgetürmten Steinhaufen. Ein letztes stummes Blinzeln und eine dabei aus seinem Auge herabrinnende Träne gönnte er dem toten Tier, dann kehrte er um und begab sich schweren Schrittes zurück zu dem Autowrack mit der gefundenen Sonnenblume.

Dort angekommen, bemerkte er sofort das leicht hüpfende Vibrieren seines Handys auf dem eingedrückten Autodach. Zielsicher drückte sein Zeigefinger auf die grüne Taste, wonach seine restlichen Finger sogleich zum Zugriff auf das herumspringende Mobiltelefon ansetzten, um es dann in sicherem Gewahrsam mit sich in Richtung Ohr abzuführen. An seine aufgesperrten Lauscher aber drang, wie auch gar nicht anders erwartet nach der sanftstimmigen, computergenerierten Information über eine weitere neue Sprachnachricht, das diabolische Räuspern und Krächzen Derrik Crawlers: "Tag 3: Für die Zukunft der Erde sieht es finster aus. Denn hinter den gigantischen Wolken aus Rauch, Staub und Asche, die die heftigen Detonationen all der weltweit eingeschlagenen Atombomben aufgewirbelt haben, verschwinden in Windeseile sämtliche Himmelskörper und mit ihnen auch das Licht der Welt. Die ewige Finsternis übernimmt an seiner Stelle endlich das lang angestrebte Regime auf Erden!". Ein weiterer Piepton ließ die - diesmal gleich in doppelter Hinsicht - dunkle Prophezeihung des finsteren Gesellen Crawler verstummen. Lukas Svensson aber ließ das Funktelefon wieder aufs Autowrackdach zurückgleiten und schaute augenblicklich zum Himmel empor. Hier und da riß die Staubwolkendecke für einen Moment, und es blitzte darunter noch der eine oder andere Stern auf. Sollte Derrik Crawler wenigstens dieses eine Mal mit seiner gefühllosen Schwarzmalerei Unrecht behalten haben?! Ja, es schien zumindest! Es schien auch nach einer halben Stunde noch so, sogar nach einer Stunde und auch noch nach der zweiten und dritten. Und gerade als Lukas Svensson triumphierend den ausgstreckten Mittelfinger seiner zur Faust geballten Hand in Richtung Handy ausstrecken wollte, zogen sich sämtliche Wolkenfetzen wie von gespenstischer Hand bewegt, zusammen und verdunkelten damit das komplette Himmelszelt. Was zurückblieb, war ein düsteres blaues Licht, das augenblicklich alles auf Erden in einen gänzlich unrealen Blauton tauchte. Die Welt war völlig blau, und auch Lukas hätte bei diesem zutiefst ernüchternden Anblick den einen oder anderen ordentlichen Doppelkorn vertragen können, um den ungewöhnlichen Zustand wenigstens auf diese hochprozentige Art mit seinem, bislang so geschätzten Himmelskörper teilen zu können. Aus Ermangelung derartiger Rauschmittel aber ließ er sich stattdessen nunmehr einfach völlig kraftlos und wie in Zeitlupe auf den staubigen Untergrund sinken. Den Kopf verbarg er zwischen seinen - mit beiden Ellenbogen auf die Knie aufgesetzen - Armen. An den, auf seiner hohen Stirn aufgelegten Handflächen vorbei aber schauten seine Augen auf den düsteren, ebenfalls bläulich schimmernden Treppeneingang zur ehemaligen Ubahnstation, der nun in seinen Augen quasi wie ein offenes Grab still vor ihm lag. Und sichtlich entmutigt klagte er, an eine weitaus höhere Stelle gerichtet: "Warum? Warum tust Du mir das an? Was hat das alles denn noch für einen Sinn? Hab ich nicht alles in meiner Macht Stehende unternommen, um meine verschollene Frau wiederzufinden. Und das ja keineswegs zum ersten Mal. Aber hier ist einfach nichts! Kein Lebenszeichen, kein Anhaltspunkt, keine noch so kleine Hoffnung! Wo, um Himmels willen, sollte ich sie denn noch suchen?! Vielleicht ist ja einfach alles umsonst. Womöglich war ihr letzter Anruf so etwas wie ein Abschiedsgruß an mich, und sie ist jetzt wie all die anderen längst ...". Blitzartig sprang er auf, wobei er den Kopf wild hin und her zu werfen begann, Die Hände aber streckte er mit den nach außen geöffneten Handflächen von sich, so als käme jener düstere Gedanke, den er eben in seiner Verzweiflung fast schon zuende gedacht hatte, nicht aus seinem tiefsten Innern, sondern vielmehr aus dem tiefsten dunkelsten Innern jenes finsteren Erdlochs in seinem unmittelbaren Blickfeld. Ein geradezu kindlich-trotziges Aufbäumen lag plötzlich in seiner Stimme, die aus tiefster Seele in das nächtliche Halbdunkel hineinbrüllte: "Nein! Das redest Du mir nicht ein! Nichts und niemand bringt mich dazu, meine einzige Hoffnung aufzugeben und an den rechten Wegen des Herrn zu zweifeln! Weiche von mir, Satan!". Und tatsächlich, es funktionierte. Die geradezu teuflische Versuchung jener selbstzerstörerischen Mutlosigkeit und die damit verbundenen ungläubigen Zweifel am Sinn seines Daseins verließen den einsamen, leidgeprüften Durchwanderer in der Londoner Großstadtwüste wieder für eine Zeitlang.

Stattdessen keimte neue Hoffnung in Lukas auf - eine Hoffnung, die im Moment vor allem von einer kleinen unscheinbaren Pflanze ausging. Dabei handelte es sich um jene, aus ihrem staubigen, steinernen Verließ befreite gelbgoldige Sonnenblume, die neben ihrer großen Blüte mit en vielen Kernen in ihrer Mitte an ihrem Stengel auch noch zwei herrlich große, grasgrüne Blätter und zwei klitzekleine Knospen trug, aus denen sich über kurz oder lang scheinbar zwei weitere Blütenköpfe aufzubrechen anschickten. Lukas erinnerte sich bei jenem atemberaubend lebendigen Anblick daran, wie er in den vergangenen Jahren seine geliebte Yelena - auf die er jetzt kurzerhand hier an Ort und Stelle zu warten gedachte - stets milde belächelt hatte, wenn sie während des Gießens mit ihren unzähligen Blumen und Topfpflanzen redete. Und nun, in dieser außergewöhnlichen Extremsituation, war er fast dazu geneigt ... Ach, warum eigentlich auch nicht?! ... Und so räusperte er sich zweimal und kratzte sich dabei etwas unsicher an seiner Stirn, bevor seine Lippen zaghaft hervorstießen: "Also, äh, Guten Tag oder vielmehr Guten Morgen?! Wenn ich mich Dir einmal vorstellen darf?! Ich darf Sie, äh also Dich doch ... ich meine, Du sagen! Was ich sagen will, ich heiße Svensson, aber Du kannst ruhig Lukas zu mir ... achso, geht ja eh nicht! Aber wenn Du reden könntest, dann könntest Du mich ... äh, also mich Lukas nennen! Entschuldige bitte, wenn ich ein wenig nervös wirke, aber das ist im Grunde genommen mein erstes Stelldichein mit einer von Deiner Sorte! Also, nicht daß Du jetzt denkst, ich hätte vor Dir noch nie eine andere ... Ne, also ich hab schon mehrere, also Dutzende, ach was red ich, hunderte gehabt. Ich hab sie, wannimmer mir eine gefiel, einfach an einer Straßenecke oder im Park aufgegriffen und mit zu mir nach Haus genommen. Da hab ich sie dann erstmal in aller Ruhe untenrum entblättert und mich an ihrem herrlichen Duft gelabt. Und dann hab ich sie mitten auf den Küchentisch gestellt und nach Lust und Laune von allen Seiten betrachtet. Oder ich hab sie im Sommer auf den Balkon gestellt, so daß die Nachbarn auch was von ihrer bloßen Schönheit hatten. Dabei reichte mir manchmal eine einzige gar nicht aus, nein, ich besorgte sie mir gleich im ganzen Dutzend und teilte sie mit den Menschen, die ich liebte. Sich an eurer ganz natürlichen Schönheit gemeinsam zu erfreuen, ist doch eh der Höhepunkt jener blühenden Leidenschaft, oder?!". Den selbstverständlich ausbleibenden Widerspruch seitens der liebreizenden Sonnenblume kurzerhand als stilles Einverständnis wertend, wurde Lukas sichtlich kühner, wobei seine anfängliche Verlegenheit rasch wich. Und so meinte er, die kernige Schöne mit seinem - bisher nur am weiblichen Teil seiner eigenen Species erprobten - verführerischen Augenaufschlag gleichsam spielerisch anflirtend: "Oh je, wo hab ich nur meinen Kopf?! Wir plaudern hier so angeregt, und ich hab Dich noch nicht einmal nach Deinem Namen ... Nun, fragen bringt da vermutlich nicht allzuviel. Vielleicht darf ich mir einen Namen überlegen, der zu Dir paßt?! Also gut, wie wäre es denn, wenn ich Dich Sunny nenne, wegen Deiner rundum sonnigen Ausstrahlung. Ja, Sunny paßt zu Dir, die Du so einsam und allein in mein Leben tratst - als Solo Sunny sozusagen! Und was den Familiennamen angeht, nun, da brauch ich ja nicht lang überlegen, Du fesches Blümlein Du! Der ist selbstverständlich Flower, nicht wahr?!". Und sich im Angesicht des Blumentopfes tief verbeugend, sprach er - verbunden mit mehreren ausladenden Bewegungen seines ausgetreckten Arms: "Sunny - Lukas! Lukas - Sunny! ... Sehr angenehm, Fräulein! Du mußt nämlich wissen, ich hab schon als kleiner Junge im Nachkriegsberlin mit Deinen Geschwistern gespielt. Die standen bei uns im Hinterhof. Unser Nachbar, Herr Gärtner, hat sie im Frühjahr und Sommer 1948 in einem selbst zusammengebastelten glasüberdachten Frühbeet gezüchtet. Und wir haben als Kinder dann heimlich die Kerne aus den goldgelben Blüten herausgebrochen und gekaut wie die Westberliner Jungens die amerikanischen Besatzungskaugummis. Meine Güte, kamen wir uns damals lässig und erwachsen vor! Aber jetzt nur keine Sorge, auch wenn ich ziemlich ausgehungert bin, ich geh Dir schon nicht gleich ans Eingemachte. Schließlich bin ich ja inzwischen kein Lausejunge mehr, sondern ein ganzer Gentleman, und außerdem möchte Dich so lange wie möglich noch in Deiner ganzen Herrlichkeit an meiner Seite wissen. Und laß mit jetzt bloß nicht das zauberhafte Köpfchen hängen, was Deinen Flüssigkeitshaushalt angeht. Sobald wir hier in der trostlosen Einöde eine brauchbare Tränke gefunden haben, spendier ich Dir und mir sofort eine kühle Erfrischung. Also, junges Fräulein, nicht schlappmachen. An meiner Seite ist bsi jetzt noch keine Dame und kein guter Freund verdurstet".

Das Wort Freund aber ließ Lukas für eine Sekunde aus seiner ungewohnten Rolle als botanischer Alleinunterhalter ausbrechen. Er verfiel für einen Augenblick lang einer merkwürdig bedrückenden Stimmung und seufzte dabei leise auf. Dann aber redete er auch gleich wieder ganz unverdrossen weiter, wobei er sich noch einmal dem eigentlich schon abgeschlossenen Thema pflanzlicher Namensgebung widmete: "Tja, weißt Du, Kleines, statt Sunny hätte ich Dich natürlich auch Audrey nennen können, wo mich dieser Name doch so in seinen Bann gezogen hat, seit mein Freund Jack aus L.A. mir seit längerer Zeit immer mal wieder recht unverblümt in den höchsten Tönen von einer Dame jenes Namens vorgeschwärmt hat, vor allem von ihrem strahlenden Lächeln und ihrem sonnigen Gemüt. Du wärst dann also quasi Audrey die Zweite. Und das würde ja auch ziemlich gut passen zu unserer Situation. Schließlich hat sich mein geliebtes London über Nacht in einen kleinen Horrorladen verwandelt, und es wäre Dir keineswegs zu verdenken, wenn Du aufgrund des vorherrschenden Mangels an unbelastetem, trinkbarem Wasser zur Blutsaugerin mutieren würdest. Ach ja, Du kleines, zartes Pflänzchen! Wo der gute Jack jetzt wohl steckt und was er wohl macht?! Denn daß er die Nuklearschläge überstanden hat, steht für mich ganz außer Zweifel! Wenn es außer Dir, Yelena und mir einer geschafft hat, dann ganz gewiß er! Der Junge hat nämlich nicht nur 7 Leben, nein, der hat ganze 8 oder noch mehr! Wahrscheinlich ist er wie im Märchen auf einer Bohnenstange, so einer mutierten Artgenossin von Dir, in die Wolken geklettert, wo er sich nun an einem seiner unheimlich langen Arbeitstage auf seine ganz eigene heldenhafte Art mit jener - von dortaus mit Abstand sicher erst in ihrem ganzen entsetzlichen Ausmaß zu erkennenden - riesigen Bedrohungslage herumschlägt!". Und ins dunkle Blau des sternenlosen Himmels hineinschauend, ergänzte der Ex-Inspektor mit erhobenen Daumen zuversichtlich: "Keine Sorge, Du schaffst das, Jack, mein Freund! Denn solange nur noch einer wie Du noch am Leben ist, ist die Welt noch zu retten!". Dann wandte er sich wieder seiner, aufgrund der spärlichen Beleuchtung längst ebenfalls ganz im Blau ihrer Topfummantelung schimmernden Sonnenblume und säuselte ihr in Abwandlung eines alten deutschen Schlagers in eines ihrer zarten Blütenblätterohren: "Die ganze Welt ist himmelblau, wenn ich auf Deine Knospen schau!". Und augenzwinkernd ergänzte er: "Eure Majestät, Audrey II. Darf ich Euch um Eure blättrige Hand und um einen Tanz bitten?! Die stolze Erhabenheit Eures wohlgeformten Stengels schreit ja förmlich danach, sich von mir um den Finger wickeln zu lassen!". Dabei packte er sie, ohne lang auf eine wie auch immer geartete Sonnenblumenkernreaktion ihrerseits zu warten, mit beiden Händen beim Topfe, erhob sich mit ihr und wirbelte sie dann mit sich im Kreise herum. Er, der stets ein so lausiger Tänzer gewesen war, hatte plötzlich Lust zu tanzen. Ein Tänzchen zu wagen auf diesem, sich oberflächlich immer mehr abkühlenden und doch innerlich sicher nur umso heißer brodelnden Trümmerfeld menschlicher Existenz - einen Tanz auf dem Vulkan sozusagen. Und bei dem, was ihn vermutlich angesichts der radioaktiven Strahlung, der er permanent ausgesetzt war, noch erwartete, war dies dann wohl auch zweifellos sein letzter Tanz. Seine Augen schlossen sich dabei langsam, und wieder entwich seinen Lippen leise und mit leicht angepaßtem, neuen Text die Melodie eines Schlagers aus der alten Heimat: "Ich tanze mit Dir in den Himmel hinein, in den siebenten Himmel, mein Blümchen!". Wenn Lukas Svensson jetzt jemand hätte sehen können, wie er nackt und hemmungslos mit einer Sonnenblume im Arm über den Gipfel einer Schutthalde hopste, man hätte ihn sicher für verrückt gehalten. Aber zum einen sah ihn ja leider Gottes niemand, und zum anderen war er ja keineswegs geistig sondern vielmehr beleuchtungstechnisch umnachtet und versuchte auf diese Art, der ihn umgebenden grauenvollen Situation wenigstens für einen Moment lang zu entfliehen, indem er alles um sich herum einfach schlichtweg vergaß. Oh ja, wie süß diese Form des Vergessens doch war - wie leicht sie einem das schwere Leben doch zu machen vermochte. Wie im Rausch drehte sich Lukas Svensson mit seiner vollblütigen Partnerin immer schneller, sprang und hüpfte hin und her und pfiff dabei, so gut er eben pfeifen konnte, die Melodie des Gassenhauers: "Denkste denn, denkste denn, Du Berliner Pflanze - denkste denn, ick liebe Dir, bloß weil ick mit Dir tanze?!". Stunde um Stunde durchsummte und durchsang der Ex-Inspektor so weltvergessen den nunmehr dritten Tag nach dem Atomanschlag. Und er war so abgelenkt, daß er dabei weder Hunger noch Durst verspürte und erst recht keinen Schmerz. Er hörte auch nicht das leise Pfeifen, welches der pausenlos über den Treppengang in den Ubahnhof hineinwehende Wind hervorbrachte und dabei - wenn man sich ganz im Gegensatz zu Lukas ein wenig mit neumodischer, elektronischer Tanzmusik aus deutschen Landen auskannte - zeitweise die Melodie von Blümchens "Ubahn ins Paradies" zu erzeugen schien. Der Ex-Inspektor aber verschwendete daran keinen einzigen seiner unendlich weit abgeschweiften Gedanken - ja, er merkte in seinem Zustand noch nicht einmal, daß die digitale Uhr auf seinem Handydisplay im eintönigen Himmelsblau einmal mehr schnurstracks auf Mitternacht zusteuerte ...

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